1. FC Magdeburg – Chemnitzer FC, 37. Spieltag, 3:1 (3:1)
…und zu feiern gab es so einiges. Zum einen natürlich einen 3:1-Heimerfolg gegen den Chemnitzer FC, der aber, so ehrlich muss man trotz aller sportlichen Fairness wohl sein, an diesem Nachmittag eher eine Randnotiz blieb. Zu feiern gab es anlässlich des letzten Heimspiels der Saison zum anderen vor allem nämlich diejenigen Spieler, die den 1. FC Magdeburg am Ende der Saison verlassen werden und natürlich Marius Sowislo, den scheidenden Kapitän, eine absolute Instanz und jetzt schon eine lebende Magdeburger Vereinslegende. Lehnt man sich zu weit aus dem Fenster, wenn man sagt, dass der Abschied, der Sowislo zuteil wurde, im deutschen Profifußball der jüngeren Vergangenheit einmalig war? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall hatte wohl nicht nur ich in der 87. Minute plötzlich was im Auge und einen dicken Kloß im Hals. Dies hier ist dementsprechend auch weniger ein Spielbericht als vielmehr eine Chronik des Drumherums, des Dankes und: des Abschieds.
Nach dem vergangenen, selbst gewählt freien Wochenende ohne Fußball und dem Aufstiegs-Samstag in der Woche davor ging es diesmal mit einem ganz merkwürdigen und gänzlich ungewohnten Gefühl in Richtung Heinz-Krügel-Stadion. Es standen ja nicht nur die oben schon erwähnten Abschiede an, sondern es würde auch bis vermutlich in den August hinein das letzte Heimspiel werden. Dazu kam der Umstand, dass diesmal die übliche Anspannung vor dem Spiel völlig fehlte und das Gefühlsbarometer irgendwo zwischen entspannt, euphorisch und melancholisch oszillierte. Dazu spielte noch das Wetter mit, die Kulisse sowieso – es war also alles angerichtet für einen großartigen Fußballnachmittag.
Jens Härtel schickte für die vorletzte Begegnung der Punkterunde 2017/2018 die folgende Formation im gewohnten 3-4-3 aufs Feld: Mario Seidel hütete das Tor, Steffen Schäfer, Andre Hainault und Christopher Handke bildeten die Dreierkette, im zentralen Mittelfeld starteten Charles Elie Laprevotte und Marius Sowislo, die Außenbahnen besetzten Marcel Costly links und Nils Butzen rechts, in der Offensive versuchten sich Florian Pick, Christian Beck und Philip Türpitz am Toreschießen.
Auf den Rängen startete man derweil stimmungsvoll, aber entgegen der sonstigen Routinen ins Spieltagsgeschehen. Auf der Nordtribüne gab es eine schöne Choreo, bei der das zugehörige Spruchband meine Gedanken nicht besser hätte auf den Punkt bringen können. „Haltet die Uhren alle an, diesen Augenblick wollen wir die nächsten 100 Jahre lang“ stand dort geschrieben und dem ist nichts weiter hinzuzufügen.
Während man die Pappen hielt und die Blockfahne hochgezogen wurde, hallte ein „Ganz Deutschland steht in Deinem Schatten, FCM!“ durchs Stadionrund; als der Blick schließlich irgendwann gen Spielfeld ging, folgten Sprechchöre für Marius Sowislo, Jan Glinker und Felix Schiller. Letzterer, diesmal auf der Bank, bedankte sich auch gleich artig und konnte sich später sogar noch mit einem 30minütigen Einsatz (er kam in Minute 60 für Christopher Handke) von den Clubfans verabschieden.
Sportlich ist die Geschichte der ersten Hälfte und im Prinzip auch des Spiels schnell erzählt: Der FCM war vom Start weg drückend überlegen und hatte durch Christian Beck nach einer Ecke in der 8. Minute direkt die erste Möglichkeit der Begegnung. Sein Kopfball ging aber recht deutlich rechts über den Kasten. Drei Minuten später machte er es besser, presste zunächst gut bei einer eher laschen Rückgabe auf Kevin Kunz im Chemnitzer Tor und nahm selbigem schließlich durch starkes Nachsetzen (bzw. eher Dranbleiben) die Kugel ab. Der Abschluss war dann nur noch Formsache, der Ball landete im Tor und Magdeburg verneigte sich vor Beck und seinem 100. Treffer für die Größten der Welt.
Irgendwann nach der Führung kam dann plötzlich Bewegung in den Gästebereich, mehr halbherzig als geschlossen verließ ein Teil der Chemnitzer Anhängerschaft den Block. Von der aktiven Fanszene war bis dato nichts zu sehen, liga3-online meldete später, dass es am Einlass zu Problemen gekommen war und die Polizei 300 CFC-Fans letztendlich daran hinderte, das Stadion zu betreten (die Ultra Chemnitz schilderten die Vorgänge im Nachgang aus ihrer Sicht auf Facebook). Allerdings hielt sich die Solidarität der schon im Stadion befindlichen Chemnitzerinnen und Chemnitzer offenbar in Grenzen; die ganze Aktion gab jedenfalls ein trauriges Bild und belegt die aktuelle Stimmung bei den Himmelblauen vermutlich ganz gut. Die Nordtribüne und den Rest des Stadions kümmerte das eher nicht so sehr, viel lieber stimmte man ein „Deutscher Meister wird nur der FCM“ an und unterstrich noch einmal eindrucksvoll den „Größten der Welt“-Anspruch. Recht so.
Unten auf dem Rasen erzielte Charles Elie Laprevotte übrigens nach 18 Minuten das 2:0, nachdem Andre Hainault Philip Türpitz vorher auf der linken Seite mit einem langen Ball eingesetzt und der Christian Beck in der Mitte angespielt hatte. Beck leitete die Kugel formschön mit der Hacke weiter, Laprevotte musste im Endeffekt nur noch in den Strafraum laufen und genau so flach wie überlegt an Kunz vorbei ins Tor vollenden. Das 3:0 erzielte schließlich in Minute 22 Türpitz mit einem wunderschönen, direkte verwandelten Freistoß über die Chemnitzer Mauer – für Kunz war da mal so gar nichts zu halten. Naja, und dann kam halt Daniel Frahn zu seinem quasi schon üblichen FCM-Quoten-Tor, als er den Ball nach 36 Minuten und einer Flanke von Mikko Sumusalo am langen Pfosten butterweich per Kopf ins Tor beförderte. Besagter Sumusalo beendete seinen Arbeitstag übrigens bereits nach 38 Minuten, als er nach einem Foul an Türpitz völlig zu Recht die gelbe Karte sah. Es war seine zweite im Spiel und damit verabschiedete sich der Finne noch ein gutes Stück vor dem Pausenpfiff unter die Dusche.
Sportlich war das Ding nach einem Durchgang bereits so durch, dass mir ernsthaft der Gedanke zuschoss, ob man nicht einfach ein Stückchen früher abpfeifen und gleich zu den Feierlichkeiten übergehen konnte. Konnte man natürlich nicht, sodass der FCM in den zweiten 45 Minuten die Führung nur noch verwaltete, während Chemnitz mit einem Spieler weniger vor allem darauf bedacht war, nichts mehr zuzulassen. Und das war auch ganz okay, denn so konnte man sich in der Kurve ganz anderen Dingen widmen.
Zunächst mal gab es selbst produzierten Konfettiregen (die Choreo-Pappen vom Anfang waren in der Pause zu Schnipseln geworden, blaue Hände inklusive) in drei Durchläufen und dann unter großem Applaus die besagte Einwechslung von Felix Schiller nach einer guten Stunde. Kurze Zeit später großes Gelächter, als sich erst ein tapferer Mensch in Block U an der „Peitsche“ versuchte, dann aber doch lieber Nico auf dem Podest übernahm. Und der konnte es sich natürlich nicht nehmen lassen, die Chemnitzer Auswechselspieler vor der Nordtribüne darauf hinzuweisen, dass sie gut zuhören sollen – so etwas würden sie schließlich so schnell nicht mehr zu hören bekommen. Großes Tennis, das in der Form vielleicht wirklich nur in einem letzten Heimspiel der Saison möglich ist.
Zwanzig Minuten vor Spielende wurde es dann das erste Mal feierlich. Nico richtete einige Dankesworte an die Kurve, sprach insbesondere all diejenigen an, die auch außerhalb der Spieltage unheimlich aktiv sind und das Stadionerlebnis, wie wir es kennen, überhaupt erst möglich machen und ermahnte die Nordtribüne (und eigentlich ja auch das ganze Stadion) schließlich, nie zu vergessen, wo wir hergekommen sind – ein Thema übrigens, das sich ingesamt so ein bisschen durch den Nachmittag zog. Besonders großartig: Es wurden auch diejenigen gewürdigt und mit schönen Worten bedacht, die nicht erst seit vorgestern, sondern schon seit Jahrzehnten in der Kurve stehen und immer da waren, auch in den ganz, ganz dunklen Zeiten. Auch das ist nämlich der 1. FC Magdeburg und vor allem diese Leute sollten allen, nicht nur dem Clubfan-Nachwuchs, als Vorbilder dienen. Um die Worte vom Vorsängerpodest hier einfach mal ganz dreist zu klauen: Ein schöner Moment.
Noch schöner und irgendwie, ja, herzerwärmend wurde es, als „Zaungott“ Olli auf selbigen gebeten wurde, nur, dass der Zaun in diesem Fall natürlich das Vorsängerpodest war. Auch Olli, sichtlich ergriffen und euphorisiert, fand noch mal großartige Worte und erwarb sich das Recht, vom Zentrum der Kurve aus einen Kuttenklassiker anstimmen zu dürfen („Aber nur dieses eine Mal!“) Die Kurve folgte ihm selbstverständlich und zack! donnerte ein „Schalalalalala, super FC Magdeburg“ durchs Heinz-Krügel-Stadion. Hach.
Das sind so die Dinge, die man Außenstehenden in ihrer Wirkung und Bedeutung eigentlich gar nicht erklären kann, die aber hoffentlich noch für sehr, sehr lange Zeit im Gedächtnis bleiben werden.
So. Und dann kam halt irgendwann das, was kommen musste – Richard Weil hatte sich bereit gemacht, stand an der Seitenlinie und allen war klar: Das ist der Moment, in dem der Kapitän sich würde von seinem Stadion verabschieden müssen. Bis es soweit war, musste aber erst einmal der Ball ins Aus gespielt werden – was gefühlt ewig dauerte. Schließlich dann die Unterbrechung, ein Heimteam, das Spalier bildete, ein Marius Sowislo, der jeden einzelnen noch mal in den Arm nahm, ein Schiedsrichter Weickenmeier, der das nach Hinweis von Daniel Frahn (von allen Leuten!) geschehen ließ und eine Chemnitzer Mannschaft, die genauso applaudierte wie der überwiegende Teil der 21.893 Zuschauer an diesem Nachmittag. Vier, fünf Minuten dauerte das alles sicher. Vier, fünf Minuten, die ganz viel Respekt, Dankbarkeit, Fairness und Anstand zum Ausdruck brachten. Vier, fünf Minuten auch, die sich Marius Sowislo absolut verdient hat und die vielen, vielen anderen Akteuren möglicherweise niemals zuteil werden, weil dann eben Karriereschritte wichtiger sind als der Aufbau von etwas richtig Großem.
Eine Lohkemper-Chance und nur eine einzige Minute Nachspielzeit später war schließlich Schluss, ein weiterer Dreier in den Büchern und die eine oder andere Träne vielleicht auch wieder getrocknet. Ach, Fußball. Ach, FCM!
Nach Abpfiff folgte schließlich noch die offizielle Verabschiedung von Florian Pick, Felix Schiller, Jan Glinker, Marius Sowislo, Andreas Ludwig, Julius Düker und Gerrit Müller durch den Verein, wobei es sich etliche Menschen natürlich nicht nehmen lassen konnten, insbesondere die Herren Schwede und Düker mit Pfiffen zu bedenken. Was dabei in den entsprechenden Köpfen vorgegangen sein muss, mag ich mir lieber nicht ausmalen – einen solchen Abschied aber hat, das brachte Nico später noch mal super auf den Punkt, keiner der Spieler verdient, die in den vergangenen Spielzeiten unser Trikot trugen und (zum Teil) maßgeblich zum Riesenerfolg „Zweitliga-Aufstieg“ beigetragen haben. Keiner.
Wie Zaungott Olli vorher, durften im Anschluss auch Jan Glinker, Felix Schiller und Marius Sowislo noch einmal aufs Vorsänger-Podest, bekamen auch von der Fanszene noch Präsente überreicht und übernahmen schließlich ein letzten Mal in dieser Saison das Einklatschen. „FUSSBALLCLUB MAGDEBURG! FUSSBALLCLUB MAGDEBURG!“ – ein letztes Mal in Liga 3, hoffentlich, ein letztes Mal in dieser Saison aber auf jeden Fall im HKS.
Doch, es war ein angemessener, schöner, würdevoller und rundum gelungener Tag, dieser 37. Spieltag der 3. Liga – und dabei wurden die absolut treffende Tapete für den Trainer und Florian Pick, bei dem das „F“ ganz offensichtlich für „feiern“ steht, noch nicht mal angesprochen. Wie stand es doch gleich auf dem Choreo-Spruchband?
„Haltet die Uhren alle an, diesen Augenblick wollen wir die nächsten 100 Jahre lang.“
Ach, wär’ das schön…
Aber: Einen haben wir ja noch. Ein Auswärtsspiel in Lotte zwar, aber eines, das wir in jedem Fall zum Heimspiel machen werden. Von daher: Alle hin da! Lasst uns noch einmal feiern, abgehen, schreien und singen – die Sommerpause wird lang genug und der unvermeidliche Entzug, der ist irgendwie jetzt schon spürbar.
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