Seit dem 20.03.2017 ist nun traurige Gewissheit, was in den Wochen davor, in denen man über den Fall so gar nichts mehr gehört hatte, leider schon zu vermuten war: Die Staatsanwaltschaft Magdeburg hat die Ermittlungen zum Tod von Hannes eingestellt. Als Ergebnis wurde der Öffentlichkeit die Erkenntnis präsentiert, dass er zwar an jenem verhängnisvollen 1. Oktober 2016 im Zug auf Personen aus der Fanszene des Halleschen FC getroffen sei, diese ihm gegenüber allerdings nicht gewalttätig geworden wären.
„Dennoch habe offenbar die Kulisse von gegnerischen Fans den jungen Mann dazu veranlasst, die Waggontür des bereits anfahrenden Zuges aufzudrücken und aus dem Waggon zu springen, so die Staatsanwaltschaft. Dabei sei Hannes gestürzt und mit dem Kopf auf einen Stein aufgeschlagen. Dass Dritte diesen Sturz verursacht haben, konnte laut Staatsanwaltschaft nicht festgestellt werden.“ – mdr.de
Also alles nur ein tragischer Unglücksfall. Dumm gelaufen. Diese Version der Ereignisse ist nur schwer zu glauben. Und doch wird einem wohl nichts anderes übrig bleiben, als jetzt und nach monatelanger Ermittlungsarbeit mit diesem Ergebnis zu leben. Der Rechtsstaat hat schließlich gesprochen. Gleiches gilt für die wenig verwunderliche Erkenntnis, dass diejenigen Hallenser*innen, die an jenem 1.10.2016 dabei waren, sich wie die drei Affen verhalten: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen (wobei man sich natürlich auch die Frage stellen kann, inwiefern das bei umgekehrten Vorzeichen eigentlich anders gewesen wäre). Das Ergebnis macht wütend und lässt einen ohnmächtig zurück, auch wenn in irgendeinem abgefahrenen Paralleluniversum natürlich wirklich die Möglichkeit besteht, dass sich alles genau so zugetragen hat, wie es jetzt kommuniziert wurde. Geschenkt. Die Beteiligten schweigen oder sagen alle das Gleiche, die Akte ist geschlossen, das Leben geht weiter. Wenn es doch nur so einfach wäre.
Geht es nach Erwin Bugar, dem Präsidenten des Fußball-Verbandes von Sachsen-Anhalt, ist es das aber und könnten wir jetzt tatsächlich langsam mal wieder zur Tagesordnung übergehen. Das Landespokal-Halbfinale steht an, Herr Bugar wünscht sich trotz der Brisanz der Partie ein volles Stadion, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft sei zu respektieren. Block U wird gleich noch mit kritisiert für den Aufruf, sowohl diese Partie als auch die Begegnung am 35. Spieltag nicht zu besuchen. Und das am selben Tag, an dem die oben zitierten Ermittlungsergebnisse veröffentlicht wurden. Nachlesen kann man das alles hier auf mdr.de. Titel des Beitrags: „Fußballverband pocht auf fairen Umgang“. Es ist nicht zu fassen.
Die vom MDR dokumentierten Aussagen von Herrn Bugar als Repräsentant des FSA, mit denen er ja, glaubt man dem sozial-medialen Grundrauschen, durchaus nicht alleine steht, sprechen Bände. Das Spektakel muss halt weitergehen, „the show must go on“, die Kasse muss klingeln. Fahrt das Klatschvieh in die Arena, alles ist gut, Stimmung, Konfetti und ein Hoch auf den Rechtsstaat, der das alles wieder möglich macht. Es ist zum Kotzen.
Vielleicht muss man es einfach noch einmal in genau dieser Deutlichkeit formulieren: Die Paarung „1. FC Magdeburg gegen Hallescher FC“ wird nie wieder ein normales Derby, geschweige denn ein normales Fußballspiel sein. Wie auch?
Mit dem Ermittlungsergebnis zu Hannes‘ Tod sind noch längst nicht alle Fragen beantwortet; einige der noch offenen thematisiert die Mitteldeutsche Zeitung hier. Man kann nur hoffen (auch wenn diese Hoffnung eine äußerst vage ist), dass engagierte Journalist*innen da dran bleiben und keine Ruhe geben, bis auch die letzten Ungereimtheiten geklärt und der Öffentlichkeit plausibel dargelegt wurden.
Unmittelbar nach dem offensichtlichen Abschluss des Ermittlungsverfahrens mit diesem Ergebnis jetzt von der aktiven Magdeburger Fanszene zu erwarten, alles zu vergessen, doch bitte auf den Rechtsstaat zu vertrauen und gefälligst weiterzumachen, als wäre nichts passiert (und ja, ich weiß, ich überspitze), ist derweil an Naivität und Zynismus nicht mehr zu überbieten. Die Entscheidung, den Derbys in Halle bis auf Weiteres fernzubleiben, steht ja nun nicht erst seit gestern fest; lediglich die (Hinter-)Gründe wurden am 28. Spieltag via Flyer noch einmal dargelegt und mit dem besagten Aufruf verbunden, sich Block U anzuschließen. Die Ermittlungsergebnisse werden an diesem Aufruf nichts ändern, eher im Gegenteil. Schön wäre, das für den Moment einfach zu akzeptieren, allen Beteiligten die Zeit zu gönnen, mit dem Ausgang des Verfahrens umzugehen und eventuell darüber nachzudenken, ob die Entscheidung, nicht zu den Derbys zu fahren, nicht vielleicht auch eine ziemlich kluge ist.
Zu erwarten ist das freilich nicht. Die Show muss ja schließlich weitergehen. Was zählt da schon ein Menschenleben?
Beitragsbild: „Three wise monkeys“ (geändert) von Anderson Mancini, Lizenz: CC BY 2.0
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