SV Werder Bremen II – 1. FC Magdeburg, 25. Spieltag, 1:3 (1:1)
Ach Fußball, Du wundersames Ding! Wenn in Zukunft mal jemand fragt, warum man sich den ganzen Quatsch eigentlich Woche für Woche antut, könnte man im Prinzip prima auf die Partie des 1. FC Magdeburg beim SV Werder Bremen II verweisen. Das Spiel und sein Drumherum hatten fast alles, was das Fan-Herz begehrt: Eine Wahnsinnsstimmung dank ungefähr 4.000 Kaputter in Blau-Weiß, die ihrem Team gegen die Bremer U23 ins Weserstadion gefolgt waren, den kompletten Oberrang der Westkurve bevölkerten und die Auswärts- zu einer Heimpartie machten. Einen Spielverlauf, der schon früh in der zweiten Hälfte auf ein typisches Unentschieden hindeutete und dem zwei Tore in den letzten 5 Minuten der Partie noch einmal eine nicht mehr für möglich gehaltene Wendung gaben. Und mit Tobias Schwede einen Protagonisten, dessen Zeit in Bremen bekanntermaßen nicht unbedingt harmonisch endete und der mit 3 Torbeteiligungen und dem entscheidenden Treffer in der allerletzten Minute an alter Wirkungsstätte zum Matchwinner wurde. Max-Jacob Ost vom Rasenfunk würde augenzwinkernd sagen: „Solche Geschichten schreibt nur der Fußball.“ Und damit hat er wahrscheinlich recht.
Eine Woche nach dem befreienden 3:1 gegen den SC Preußen Münster durfte man gespannt sein, wie der Club die knifflige Aufgabe „Bremer Reserve“ wohl angehen würde. Die Gastgeber waren vor der Partie zwar Vorletzter, gehören fußballerisch aber mit Sicherheit zu den gefälligeren Teams der Liga. Unter Neu-Trainer Sven Hübscher hatte man zuletzt in Wiesbaden für Aufsehen gesorgt, als man beim Tabellendritten lange mit 2 Toren führte und erst in der Schlussphase noch den Ausgleich hinnehmen musste. Außerdem schob man vor der Partie gegen die Größten der Welt die längste Serie ohne Sieg in der Geschichte der 3. Liga vor sich her, irgendwann würde wird auch die mal enden müssen. Dass die Partie im großen Stadion und nicht auf Platz 11 stattfand, dürfte beiden Mannschaften in die Karten gespielt haben, ein Stückchen mehr sicherlich aber dem Bremer Nachwuchs, der traditionell ja eher über das technisch anspruchsvolle Spiel als über den Kampf kommt. Kurzum: der 1. FC Magdeburg hatte in dieser Spielzeit möglicherweise schon einfachere Aufgaben zu lösen.
Jens Härtel entschied sich gegenüber der Partie zuhause gegen Münster für eine einzige Veränderung in der Anfangsformation: Für Dennis Erdmann rückte mit Björn Rother neben Tobias Schwede und Felix Schiller ein weiterer Ex-Bremer in die erste Elf. Taktisch ließ der Trainer zunächst im zuletzt bewährten 4-2-3-1 agieren, mit Steffen Schäfer, Schiller, Christopher Handke und Nils Butzen in der Viererkette, besagtem Björn Rother und Richard Weil auf der Doppelsechs, Schwede, Julius Düker und Philip Türpitz in der offensiven Dreierreihe und Christian Beck als einziger echter Spitze.
Vom Start weg agierte nicht nur die Gästekurve mindestens mal erstligareif, auch Blau-Weiß legte mit ordentlich Zug los. Und kaum hatte man sich gesanglich und perspektiventechnisch auf das sehr schicke Weserstadion eingestellt, gab es auch schon die erste Torgelegenheit für die Größten der Welt: In der vierten Minute geriet ein Rückpass von Bremens Bünning auf seinen Torhüter deutlich zu kurz, Tobias Schwede konnte den Ball erlaufen und mit Tempo in den Strafraum eindringen. Keeper Oelschlägel versuchte zu retten, was längst nicht mehr zu retten war, kam mit seiner Grätsche aber deutlich zu spät und holte Schwede mustergültig von den Beinen – Elfmeter für den Club! Philip Türpitz schnappte sich den Ball, musste aufgrund einer Behandlungspause für Schwede noch eine gefühlte Ewigkeit warten, versenkte die Kugel dann aber vor den mitgereisten Blau-Weißen ohne Chance für Oelschlägel oben links in die Ecke. Ein Auftakt nach Maß für die Größten der Welt, der nun natürlich vieles deutliches einfacher machen würde.
Mit der Führung im Rücken bespielte der Club die jungen Bremer genau so, wie man eine U23-Mannschaft bespielen sollte: Mit frühem, aggressivem Pressing, aus dem sich die Gastgeber zwar immer wieder spielerisch gut befreien konnten, das gleichzeitig aber auch zu etlichen Ballgewinnen bereits an der Mittlinie und teilweise noch tiefer in des Gegners Hälfte führte. Das Resultat waren etliche gute Umschaltsituationen, bei denen man dem FCM vielleicht den Vorwurf machen kann, die eine oder andere Szene einfach nicht sauber zu Ende gespielt zu haben. So landete ein Abschluss von Julius Düker aus zentraler Position in der 10. Minute im Fangnetz hinter dem Tor, konnte Oelschlägel einen zu schwachen Schuss von Philip Türpitz von der rechten Seite im Strafraum festhalten (15.) und brachte auch Tobias Schwede nach schöner Einzelaktion nebst Dribbling in den Strafraum den Ball in der 18. Minute nicht mehr kraftvoll genug aufs Tor.
Von Bremen war offensiv zunächst so gut wie gar nichts zu sehen. In Minute 12 reichte es mal für einen Eckstoß, nach etwas mehr als einer Viertelstunde verzog Ousman Manneh eine Direktabnahme nach schönem Ball hinter die Magdeburger Abwehrkette weit nach links, in der 25. Minute setzte er einen Schuss aus 18, 19 Metern knapp über den Kasten. Ansonsten war der Club die bessere und aktivere Mannschaft, ohne aber wirklich gefährliche Abschlussmöglichkeiten herauszuarbeiten, weil eben die allerletzten Entscheidungen vor dem Tor nicht immer die optimalsten waren. So auch in Spielminute 28, als Tobias Schwede an der linken Seitenauslinie stark am Ball bleibt, ins Zentrum dribbelt und Christian Beck per (Hacken-)Doppelpass auf links in eine gute Flankenposition bringt. Die scharfe Hereingabe des Ersatzkapitäns findet dann am langen Pfosten aber nur ein Bremer Abwehrbein, von dort landet der Ball schließlich in den Armen des Torwarts.
Naja, und wenn Du den Gegner eigentlich im Griff hast, hilft manchmal eben der Schiedsrichter nach, um aus einer interessanten und aus Gästesicht viel versprechenden wieder eine ausgeglichene Partie zu machen. In der 29. Minute spielt Philipp Eggersglüß einen klugen Ball auf den in den Strafraum startenden Manneh. Zuvor war es der Bremer Offensive gelungen, die Magdeburger Viererkette gut auseinander zu ziehen und Platz für den Bremer Mittelstürmer zu schaffen, der den sich bietenden Raum zwischen Felix Schiller und Christopher Handke hervorragend zu besetzen wusste. Handke geht beherzt in den Zweikampf, kommt deutlich vor Manneh an den Ball, spielt selbigen ins Toraus und bringt quasi in der Bewegung auch den Stürmer zu Fall. Schiedsrichter Schütz entscheidet sich sofort, pfeift – und zeigt auf den Punkt. Erneut Elfmeter, diesmal allerdings auf der falschen Seite und, wie eine spätere Betrachtung der Fernsehbilder zeigte, eine Fehlentscheidung. Winter-Neuzugang Marc-André Kruska kümmerte das freilich wenig, er guckte sich Jan Glinker aus, ließ den Keeper in die vom Schützen aus linke Ecke abtauchen und schob rechts zum 1:1 für seine Farben ein.
Dieser Fehler in der Matrix zeigte Wirkung beim 1. FC Magdeburg. Während klare Torraumszenen bis kurz vor dem Halbzeitpfiff ausblieben, versuchte man unmittelbar nach dem Ausgleich zunächst, mit einfachen, flachen Pässe wieder Ruhe und Sicherheit ins Spiel zu bringen. Prinzipiell eine gute Idee, hätte man sich dabei nicht gleichzeitig auch ein Stück zu weit zurückgezogen und wären da nicht etliche einfache Ballverluste im defensiven Mittelfeld gewesen, bei denen insbesondere Björn Rother in zwei, drei Szenen nicht besonders gut aussah. Man ließ die jungen Bremer, die nun auch von einigen kuriosen Schiedsrichterentscheidungen profitierten, jedenfalls zunehmend ins Spiel kommen und konnte sich glücklich schätzen, dass auch den Gastgebern der allerletzte Zug zum Tor so ein bisschen abging. Eine Großchance bot sich Bremen trotzdem noch: Johannes Eggestein hatte sich kurz vor der Pause im Strafraum gegen Rother und Handke im Dribbling durchgesetzt, seinen Schuss aus 11 Metern pariert Jan Glinker dann aber stark. Durchatmen. Mit dem inzwischen wohl leistungsrechten 1:1 ging es in die Pause.
Die zweiten 45 Minuten begannen aufseiten des 1. FC Magdeburg sowohl mit einem Wechsel als auch einer taktischen Umstellung: Nico Hammann ersetzte Steffen Schäfer und rückte in die Mitte einer Dreier-Abwehrkette, der Club agierte fortan im 3-4-3. Hammann wurde links bzw. rechts von Schiller und Handke flankiert, Tobias Schwede rutschte links eine Position nach hinten, Nils Butzen rechts eine nach vorn, zusammen mit Weil und Rother bildeten sie das Vierer-Mittelfeld. Julius Düker wechselte für die zweite Halbzeit von der zentralen Position hinter der Spitze auf die linke Offensivseite, Christian Beck spielte zentral, rechts Philip Türpitz. Der Wechsel der Grundordnung zeigte zunächst auch Wirkung, kam der Club doch durch Beck (Schlenzer bzw. Flankenversuch von rechts auf Düker nach schönem Konter, 47.), Düker (48., nach Freistoß knapp links vorbei) und abermals Beck (51., Hereingabe in die Mitte/Torabschluss von links nach Hammann-Freistoß) zu weiteren Tormöglichkeiten.
Nach gut einer Stunde war es das dann aber erst einmal mit blau-weißen Angriffsbemühungen, hatte sich Bremen gut auf die geänderte Magdeburger Formation eingestellt und spielten fortan eigentlich nur noch die Gastgeber – allerdings, wie gehabt, ohne sich klare Torchancen herausspielen zu können. Einzig ein Kopfball von Idrissa Touré nach einer Ecke in der 59. Minute wurde noch einmal gefährlich und konnte von Christian Beck erst auf der Linie geklärt werden. Ansonsten passierte offensiv hüben wie drüben wenig, bis Richard Weil den Club in der 70. Minute eigentlich zwingend in Führung bringen muss. Nils Butzen hatte von rechts nahezu perfekt hinter die Abwehr geflankt und dort am langen Pfosten den blitzeblank stehenden Weil gefunden. Der war vermutlich selbst überrascht, dass er da so unbehelligt an den Ball kam und setzte selbigen aus fünf Metern an die Oberkante der Latte. Und ganz ehrlich? Spätestens jetzt drängte sich so ein bisschen das Gefühl auf, dass es an jenem Nachmittag eng werden könnte mit den drei Punkten, wenn man selbst solche Riesen liegen ließ…
Jens Härtel wechselte derweil zum zweiten Mal und ersetzte Philip Türpitz durch Michel Niemeyer; spielerisch überlegen blieb aber Bremens U23. Nach einem Konter in Minute 78 muss Nico Hammann zentral in höchster Not zu einem Eckball klären, Jan Glinker selbigen mit der Faust aus dem Strafraum befördern. Sechs Minuten vor dem Ablauf der regulären Spielzeit kann sich Bremen erneut bis an die Grundlinie kombinieren, findet die flache Hereingabe anschließend aber glücklicherweise keinen Abnehmer. Fällt in der Phase das 2:1 für die Hausherren, hätte man sich aufseiten des Clubs zwar vermutlich mächtig ärgern können, aber eigentlich auch nicht wirklich beschweren dürfen.
In Spielminute 86 zog Jens Härtel schließlich seinen letzten Wechsel; der in dieser Partie etwas glücklose Julius Düker machte für Felix Lohkemper Platz. Der gebürtige Wetzlarer kam so zu seinen ersten Pflichtspielminuten 2018, nachdem er in den vorangegangenen Partien des Jahres nicht einmal im Kader stand. Und auch wenn er in der verbleibenden Spielzeit jetzt nicht unbedingt den Unterschied machte, durfte er die denkwürdige Schlussphase dieses Spiels doch immerhin aktiv auf dem Rasen erleben.
88. Minute. Während das Unentschieden nun immer wahrscheinlicher wurde, entschloss sich der Club dazu, noch einmal ordentlich einen rauszuhauen und einen richtig schicken Spielzug auf den Rasen zu zaubern: Von Richard Weil gelangt der Ball auf Höhe des Mittelkreises links zu Tobias Schwede, der einfach mal in Richtung Strafraum marschiert. Nach einem Doppelpass mit Michel Niemeyer kommt die Flanke in die Mitte, wo Nils Butzen sich davongestohlen hatte, den Ball im Stile eines Mittelstürmers artistisch mit der Innenseite des rechten Fußes direkt nahm und ohne Chance für Oelschlägel links im Tor versenkte. Was. für. eine. Bude! Der Gästeblock hob mal eben akustisch das Dach des Weserstadions für einen dritten Rang in der Westkurve, Trainerteam und Auswechselspieler an der Seitenlinie rasteten für einen kurzen Moment völlig aus und die Mannschaft feierte zusammen mit dem Schützen Butzens erstes Drittligator. Und was für ein wichtiges! Das sind so die Momente, für die sich Auswärtsfahrten wirklich lohnen. Schwer zu beschreiben, aber definitiv ein eskalativer Gänsehautmoment. 2:1 für die Größten der Welt, „Auswärtssieg! Auswärtssieg!“-Rufe aus 4000 Kehlen im Gästeblock und nur noch die Winzigkeit von 2 Minuten plus Nachspielzeit zu gehen.
Und der FCM war noch nicht fertig: Quasi mit dem Schlusspfiff ist es ausgerechnet Tobias Schwede vorbehalten, den Deckel ganz fest auf diese Partie zu schrauben. Einwurf Christopher Handke, Niemeyer verlängert per Kopf auf Lohkemper, der links den völlig freien Schwede sieht und den Ball dort auch hinspielt. Erneut steht Niemeyer für einen Doppelpass bereit und zack! zappelt der Ball wieder im Netz. Schwede hatte nicht lange gefackelt und direkt flach rechts unten ins Tor verwandelt. Während die Westkurve nun natürlich endgültig am Durchdrehen war, muss dieser Treffer für den Schützen schon etwas mehr als nur ein innerer Vorbeimarsch gewesen sein. Schönes Ding, und wie eingangs schon zitiert: Solche Geschichten… Ihr wisst schon.
Angepfiffen wurde die Partie dann gar nicht erst wieder, sondern direkt in die kollektiven Feierlichkeiten übergegangen. Dank der passenden Ergebnisse auf den anderen Plätzen und dank des abgesagten Spiels des SC Paderborn in Meppen grüßen die Größten der Welt nun mindestens für eine Woche vom Platz an der Sonne und haben nach einem zwischenzeitlichen Hänger zu Jahresbeginn nun wieder 9 Punkte Vorsprung auf Relegationsrang 3. Eine optimale Ausgangslage einmal mehr, zumal nach dem Pokalerfolg gegen Augsburg nun mit dem Treffer von Nils Butzen auch die letzte Aufstiegsvoraussetzung für diese Saison erfüllt sein dürfte. Trotz aller – berechtigter – Euphorie bleibt allerdings auch festzuhalten, dass es mit der Leistung aus größeren Teilen der zweiten Halbzeit schwierig werden könnte, am kommenden Wochenende auch in Rostock zu bestehen. Diese Gedanken allerdings dürfen uns gern erst in einigen Tagen wieder beschäftigten. Bis dahin wird genossen und gefeiert und bereiten die vorletzten Zeilen dieses Textes vielleicht dem einen oder der anderen noch einen ordentlichen Wochenanfangs-Ohrwurm:
„Unser Club ist unbesiegbar, niemand kann uns aufhalten…!“
Bitte. Gern geschehen. Nur der FC Magdeburg!
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