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Schöne Bescherung

Otmar Schork

Puh, ähm, ja … Eigentlich sollte jetzt hier an dieser Stelle ein Jahresabschluss-Post folgen, der noch einmal auf die eher beschissenen, letzten 12 Monate zurückblickt und dann mit so etwas wie einem halb hoffnungsvollen „Im neuen Jahr wird bestimmt alles besser! Schöne Feiertage, Clubfans!“ endet. Stattdessen sitze ich nun aber hier und bin mal wieder wütend. Und fassungslos. Aber auch das beschreibt ja das Jahr ziemlich gut. Genau wie der Umstand, noch einmal die diesmal aber wirklich allerletzten Reserven mobilisieren zu müssen, um ein letztes Mal in 2020 gegen diesen ganzen Mist an- oder ihn sich zumindest von der Seele zu schreiben. Es ist anstrengend mit Dir, 1. FC Magdeburg, sehr anstrengend, und irgendwo zwischen bleiernster Lethargie und „Ach, fuck it!“ gibt es jetzt eben noch mal ein paar Worte, die rausmüssen, bevor hier noch irgendwas zu Bruch geht.

Anlass des jüngsten Wut-Verzweiflungs-Cocktails ist dieses Zitat hier von Otmar Schork aus einem Interview am 20.12..

Otmar Schork

Ich musste es wirklich zweimal lesen. Da ist tatsächlich von einem Trend die Rede, der da sei, und von dem Umstand, dass sich Ausdauer und Kontinuität auszahlen würden, häufige Trainerwechsel hingegen nicht. Beziehungsweise noch krasser: Die nicht vorhandene Kontinuität auf dem Trainerstuhl in den letzten zwei Jahren ist für Otmar Schork offenbar als Argument stark genug, an Thomas Hoßmang festzuhalten. Wohl gemerkt: Nicht fachliche Gründe sind ausschlaggebend oder die besondere Qualität der Trainerarbeit, die sich nur mit Pech nicht in den „richtigen“ Ergebnissen widerspiegelt, nein, einfach nur der pure Blick auf die häufigen Veränderungen auf dieser Position in den letzten Jahren. Alter.

Spulen wir für Herrn Schork vielleicht einfach noch mal ein Stück zurück, und zwar in eine Zeit, in der die damals sportlich Verantwortlichen aus freien Stücken entschieden, sich von Ausdauer und Kontinuität zu verabschieden und nur noch auf „Gier“, „Leidenschaft“ und „Aber die Mannschaft!“ zu konzentrieren. Dann sind wir nämlich doch beim Jahresrückblick. Die Personalien „Härtel“ und „Oenning“ möchte ich mal außen vor lassen; die Scheiße, in der wir jetzt sitzen, begann sich meines Erachtens schließlich erst nach dem Zweitligaabstieg bzw. genauer: nach der Entlassung von Stefan Krämer so richtig aufzutürmen, und das war eben ziemlich genau vor 12 Monaten.

Wie wir alle wissen, musste Krämer unter anderem deswegen gehen, weil Mario Kallnik und Maik Franz der erspielte Punkteschnitt von 1,36 Zählern pro Partie nicht gut genug war. Es folgte neben jeder Menge haarsträubendem Kommunikations-Bullshit Claus-Dieter Wollitz, der in seinen 11 Spielen als Clubtrainer sensationelle 0,91 Punkte im Schnitt „auf die Platte“ brachte. Weil das den Club geradewegs in Richtung Abstieg führte, folgte bekanntermaßen Thomas Hoßmang, mit dem dank 1,43 Punkten in sieben Spielen der Klassenerhalt gelang. Lässt man die sieben Begegnungen noch mal Revue passieren, findet man ein 2:0 über Viktoria Köln am 32. Spieltag der vergangenen Saison, gefolgt von einem schmeichelhaften 1:1 in Mordor (Weigel mit dem Ausgleich in der Nachspielzeit), einem 2:2 gegen Bayern II nach 2:0-Führung, einem müden 0:0 in Unterhaching, einer Niederlage gegen die bereits abgestiegene SG Sonnenhof Großaspach zuhause und schließlich dem erlösenden Sieg in Ingolstadt, der die letzte Partie gegen Münster (2:2 nach zweimaliger Führung) für die Frage des Klassenerhalts für den FCM bedeutungslos machte.

Steiningert mich, aber rückblickend Conteh man vielleicht da schon einen Trend erkennen, den zu irgendwie ergaunerten Punkten ohne große Spielkultur und -idee nämlich. Der Witz an der Stelle ist aber eigentlich ein anderer: Die von Herrn Schork nun als Argument pro Hoßmang ins Feld geführte Nicht-Kontinuität auf der Trainerbank war ja hausgemacht. Und zwar – zunächst – ohne große Not, einen solchen Punkteschnitt wie unter Krämer gab es danach nicht wieder, zusammen mit den sieben Partien der letzten Saison kommt Thomas Hoßmang aktuell auf eine Quote von 1,09 Zählern pro Spiel. Grüße an der Stelle übrigens an das angeblich ja so stark dominierende Leistungsprinzip im Verein.

Auch den eben angeführten Schnitt muss man noch einmal deutlich in den Kontext setzen: Der aktuelle Cheftrainer holt als „Feuerwehrmann“ 1,43 Punkte (10 aus 7 Begegnungen). Es folgt ein Sommer, in dem er und Mario Kallnik (hier könnt Ihr das noch mal nachhören) einen neuen Kader zusammenstellen können, also ein Team nach ihren Vorstellungen. Mit einer Spielidee dahinter und einer Perspektive, so zumindest muss ich das annehmen, alles andere wäre ja noch hanebüchener. Es gibt eine richtige Sommervorbereitung mit Testspielen und allem Pipapo. Und im Dezember 2020 findet sich der 1. FC Magdeburg mit 14 Zählern aus 15 Partien am Tabellenende wieder. Mario Kallnik, Weichensteller der letzten Jahre mit allen Erfolgen, aber eben auch Fehlern und in seiner Funktion federführend bei den Entlassungen von Krämer und Wollitz, ist immer noch im Verein, Thomas Hoßmang noch auf der Trainerbank und der neu installierte Sportdirektor Otmar Schork spricht von einem Trend und davon, dass nun Ausdauer und Kontinuität gefragt seien.

Ganz ehrlich, dazu fällt mir nichts mehr ein, was nicht justiziabel wäre.

Dann noch eine Sache zum Thema „Trend“ und den letzten sieben Spielen:

Ja, wir haben aus diesen Begegnungen zehn Punkte geholt. Aber Herr Schork, Sie müssen doch auch gesehen haben, wie diese Punkte zustande kamen. Nur zwei Beispiele: Macht Lübeck den Elfmeter in der Nachspielzeit, verlieren wir dort. Wie es überhaupt zu der Szene kommen konnte, ist bekannt. Ist Meppen nicht zu doof, eine der zahlreichen Torchancen zu nutzen, verlieren wir diese Partie ebenfalls. Dass die beiden Punkte aus diesen Spielen im Endeffekt bei uns auf der Habenseite stehen, hat nullkommanichts mit der Leistung des 1. FC Magdeburg, sondern einzig und allein mit dem Unvermögen des Gegners zu tun. Schwingt das Glückspendel in die andere Richtung, stehen wir mit leeren Händen da. Einfach nur für’s Argument können wir die Punkte ja mal abziehen. Dann sind wir bei acht aus sieben Spielen. Auch die anderen Partien, in denen wir gepunktet haben, können locker anders ausgehen:

In Zwickau rettet uns ein Sonntagsschuss von Andi Müller. Ja, er kommt in die Position und ja, er traut sich, da abzuziehen, alles richtig und gut. Trotzdem haben wir auch da Glück, im Normalfall ist das ein typisches 0:0 der übleren Sorte. Gegen Rostock gehen wir in Führung, können diese trotz weiterer Tormöglichkeiten aber nicht halten und froh sein, dass die Gäste ebenfalls nicht kaltschnäuzig genug sind. In Kaiserslautern gibt’s den kuriosen Flankentreffer von Müller zum 1:1.

Mit anderen Worten: Mit der gleichen Leistung der Mannschaft in den letzten sieben Spielen, mit dem gleichen Coaching von Thomas Hoßmang und seinem Team (inklusive taktischer Marschroute, Einwechslungen usw.) und einfach nur ein bisschen weniger Glück könnten wir jetzt, wenn es richtig beschissen gelaufen wäre, auch mit acht Punkte aus 15 Spielen am Tabellenende stehen. Und auch wenn es weh tut, das zu schreiben, wäre das vermutlich „leistungsgerechter“ als das, was die Tabelle jetzt aussagt. Wobei zumindest die Tordifferenz von 13:21 das Glücksargument vielleicht noch einmal gut verdeutlicht. Mit 13 geschossenen Toren (!!!) im Profifußball 14 Punkte zu holen, muss ja zu einem großen Teil auch mit an den Gegnern liegen.

Jedenfalls ist es schwer zu ertragen, diese Ergebnisse offenbar völlig ironiefrei als „Trend“ verkauft zu bekommen, der eine positive Entwicklung belegen soll. Überhaupt und wahrscheinlich sogar in der Hauptsache ist es dieses Gefühl von „Wen wollt Ihr eigentlich verarschen?“, das sich einfach schon durch das ganze Jahr zieht, angefangen in der Weihnachtszeit letztes Jahr, und das die ganze Situation und diese Rhetorik inzwischen nur noch unerträglich macht.

Vor diesem ganzen Hintergrund und angesichts der permanenten Beschwichtigungs- und Realitätsverweigerungskommunikation des FCM, gepaart mit dem einen oder anderen niedlichen Weihnachtsvideo und irgendwelchen „Mega-Rabatte“-Posts, wurde für mich, wenn ich so auf das Jahr zurückblicke, noch eine andere Sache sehr deutlich: Wir haben offenbar ein Führungsproblem im Verein.

Man mag mich berichtigen, wenn ich da eine falsche Wahrnehmung habe und jetzt irgendwem zu nahe trete, aber: Nicht ein einziges Mal in diesen 12 Monaten ist mir ein Vereinsvertreter oder ein Vereinsgremium aufgefallen, der oder das sich mal öffentlich hingestellt und gesagt hätte: „Es steht sportlich wirklich nicht gut um unseren Club, die Situation ist sehr prekär, wir nehmen das jetzt mal in die Hand und versuchen hier alles, um die Ursachen konsequent zu ermitteln, drehen, wenn es sein muss, jeden Stein um und arbeiten mit Hochdruck daran, unseren Verein wieder in sportlich erfolgreichere Fahrwasser zu bringen.“ Stattdessen gab es reichlich Kuschelwuschelwohlfühlaussagen á la „Wir müssen zusammenhalten“, „Wir sind doch eine Familie“, „Wir sind auf einem guten Weg“ und was weiß ich nicht noch alles. Klar, kann man machen und es gibt ja immer noch Leute, die sich davon abholen lassen (kein Vorwurf!); ich für meinen Teil bin da halt längst ausgestiegen und sehe jedes Mal, wenn ich so einen Quark lese oder höre, das Ortseingangsschild von Meuselwitz vor meinem inneren Auge vorbeiziehen.

Ach, ach … vielleicht ist ja „Ach, fuck it!“ doch gar keine so schlechte Einstellung …

Was bleibt nun also von 2020 und damit von einem nicht nur, aber eben auch sportlich ziemlich üblen Jahr?

Es bleibt ein Verein, der in einer gefährlichen Situation hilflos, überfordert und orientierungslos wirkt. Es bleiben Verantwortliche, die sich eine sportliche Nicht-Entwicklung mit irgendwelchen Statistiken schönreden. Es bleibt, zumindest bei mir, ein krasser Vertrauensverlust in die handelnden Personen und die Vereinsgremien, von dem ich derzeit keine Ahnung habe, wie der sich wieder kitten ließe. Es bleibt die Frage, die ich mir seit einiger Zeit jeden Tag stelle und die mich wahnsinnig macht: Ist es wirklich so schlimm, wie das alles wirkt, oder ist vielleicht meine Wahrnehmung und bin damit ich das Problem?

Ich weiß es nicht. Was ich aber sicher sagen kann, ist, dass mir die eingangs zitierte Aussage unseres Sportdirektors vorerst die letzte Hoffnung auf einen guten Ausgang geraubt hat. Und natürlich kann alles anders kommen, die Mannschaft im neuen Jahr alle Spiele gewinnen, die Euphorie wieder entfacht werden und der taumelnde Riese sich fangen und dann ganz neu angreifen. Wenn es doch nur eins, ein einziges, richtiges, echtes, untrügerisches Anzeichen dafür gäbe …

Und damit schöne Feiertage, Clubfans. Bleibt gesund, achtet aufeinander und kommt gut ins neue Jahr. Es kann nur besser werden.

 

 

Beitragsbild: „Brokenness“ von col_adamson via Flickr | Lizenz: CC BY 2.0

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