SV Werder Bremen II – 1. FC Magdeburg, 27. Spieltag, 0:1 (0:0)
Es gibt Auswärtssiege, die sich einfach gut anfühlen, und dann gibt es Auswärtssiege, die einen auch Stunden nach dem Abpfiff beim Gedanken an die letzten Szenen des Spiels noch innerlich eskalieren lassen. Im deutlichen positiven Sinne. Der 1:0-Erfolg bei der Reserve des SV Werder Bremen gehört mit Sicherheit in diese Kategorie, bescherte doch erst ein souverän verwandelter Elfmeter von Richard Weil in der 93. (!) Spielminute den ersten dreifachen Punktgewinn auf fremdem Platz im Jahr 2017, ekstatische Ausbrüche unter den mitgereisten 1.000 knapp 1.500 Clubfans inklusive. „Wer solche Spiele zieht, steigt auf!“ war danach von dem einen oder der anderen zu hören – nun sind zwar noch elf Partien zu gehen, ganz von der Hand zu weisen ist das Argument aber sicherlich nicht. Die Träume, in denen die 2. Fußball-Bundesliga einen prominenten Platz einnimmt, dürften mit diesem Ergebnis jedenfalls um einiges konkreter werden.
Jens Härtel würfelte seine Startformation im Gegensatz zu den letzten Spielen doch einigermaßen deutlich durcheinander. Vor Leopold Zingerle im Tor verteidigte neben Nico Hammann und Richard Weil erstmals seit dem 19.11.2016 wieder Steffen Puttkammer von Beginn an; im zentralen Mittelfeld teilten sich Jan Löhmannsröben und Charles Elie Laprevotte die Aufgaben, Michel Niemeyer und Nils Butzen besetzten die Außenpositionen. In der Offensive wirbelte Startelf-Rückkehrer Tobias Schwede links, Julius Düker für Christian Beck zentral und auf der rechten Seite Florian Kath. Vier Änderungen also gegenüber der Begegnung gegen Münster, was für Härtelsche Verhältnisse eine ganze Menge ist. In der englischen Woche allerdings durchaus nachvollziehbar und mit Blick auf das Ergebnis auch nicht nachteilig, wenngleich insbesondere die erste Hälfte zunächst etwas anderes vermuten ließ.
Der FCM erwischte zwar den besseren Start ins Spiel und hatte bis zur 11. Minute eigentlich alles ganz gut im Griff, dann aber übernahmen die ball- und kombinationssicheren Bremer Nachwuchsspieler zunehmend die Initiative. So rollte nach 13 Minuten erstmals ein Konter über die rechte Angriffsseite in Richtung Leopold Zingerle; Richard Weil kann in letzter Konsequenz zur Ecke klären. Bremen blieb am Drücker und hatte nach 25 Minuten Spielminuten die erste richtig dicke Chance der Begegnung: Charles Elie Laprevotte verliert den Ball in der Vorwärtsbewegung zwischen Mittelkreis und eigenem Strafraum an Niklas Schmidt, der seinen eigenen Ballgewinn gut erläuft, durchstartet und frei zum Abschluss kommt. Der Schuss verfehlt das Magdeburger Tor nur knapp, Leopold Zingerle wäre ohne Abwehrchance gewesen. Puh.
Die Bremer U23 nun mit ihrer besten Phase im Spiel. Nach 31 Minuten erreicht ein starker Pass aus dem Mittelkreis Ousman Manneh, sehr super durchgelaufen war, Richard Weil entwischt, dann aber im hervorragend reagierenden Leopold Zingerle seinen Meister findet. Auch der Nachschuss wird noch einmal gefährlich, ist dann allerdings bei Zingerle sprichwörtlich in guten Händen. Vom FCM war bis dahin offensiv kaum etwas zu sehen: Ein eher harmloser Schuss nach feiner Einzelaktion von Tobias Schwede aus der Anfangsphase, ein Düker-Kopfball nach Flanke von Nils Butzen und ein anschließender Fallrückzieher von Florian Kath, der letztlich aber weit über das Tor geht, blieben in der ersten halben Stunde die einzigen erwähnenswerten Aktionen.
Ganz anders die Bremer, die spätestens nach 33 Minuten den Führungstreffer verdient gehabt hätten. Gute 20 Meter vor dem Magdeburger Tor gibt es einen Freistoß, den Niklas Schmidt direkt rechts aufs Tor bringt und der Leopold Zingerle erneut zu einer Glanzparade zwingt. Jens Härtel wird später und vollkommen zu Recht zu Protokoll geben, dass uns der junge Keeper in der ersten Hälfte mit seinen Aktionen stark im Spiel gehalten hat. Seine Kollegen brauchten ungefähr 38 Minuten, um wieder mehr Ruhe ins Spiel zu bringen und auf der anderen Seite noch mal einigermaßen gefährlich zu werden. Einen Schwede-Freistoß von der rechte Seite kann Jan Löhmannsröben fast an der Grundlinie allerdings nur hinter das Tor köpfen.
Kurz vor der Halbzeit dann eine weitere Strafraumszene, die zu Beginn des zweiten Durchgangs zu einem verletzungsbedingten Doppelwechsel auf Bremer Seite führen sollte. Im Duell um einen hohen Ball unterläuft Julius Düker den Bremer Keeper Oelschlägel, der in der gleichen Aktion zusätzlich noch von Jesper Verlaat, also seinem eigenen Innenverteidiger, abgeräumt wird. Beide Bremer müssen lange behandelt und schließlich durch Duffner und Rehfeldt ersetzt werden. Während Verlaat „nur“ eine Gehirnerschütterung erlitt, erwischte es Eric Oelschlägel deutlich heftiger. Gute Besserung an der Stelle!
Eine bittere Nachricht! Eric #Oelschlägel hat sich den Ellbogen gebrochen. Gute Besserung, Oeler! ? https://t.co/0A3kStofGw #werderU23 pic.twitter.com/OmvciCug4j
— WERDER Junioren (@WERDER_LZ) 14. März 2017
Kurios übrigens: Anstatt die Behandlungspause ganz regulär nachspielen zu lassen, entschied sich Referee Riem Hussein dafür, beide Mannschaften doch kurzerhand zum Pausentee in die Kabine zu bitten.
Der zweite Durchgang bot zunächst ein ganz ähnliches Bild wie die ersten 45 Minuten, sah aber im weiteren Verlauf einen immer stärker werdenden Gast, der nun seinerseits zu dem einen oder anderen vielversprechenden Abschluss kam. Zunächst sind es zwar erneut die Bremer (46., 49.), die für Gefahr sorgen, nach 52 Minuten fasst sich allerdings Florian Kath ein Herz, kann seinen Schuss aus dem Strafraum-Gewühl heraus nach einem Bremer Abwehrfehler und schöner Vorarbeit von Nils Butzen aber lediglich aufs Tornetz setzen. Fünf Minuten später muss es eigentlich Elfmeter geben: Michel Niemeyer, der unheimlich viel unterwegs war (und später für Tarek Chahed ausgewechselt wurde) rauscht mit viel Tempo in den Strafraum, kriegt von hinten einen ordentlichen Stoß mit und fällt – Husseins Blick geht sofort raus an die Linie (wo der Linienrichter eher nur einen noch schlechteren Blick auf das Geschehen gehabt haben kann), die Pfeife bleibt aber stumm. Klare Fehlentscheidung, aber vielleicht so etwas wie ein kleiner Weckruf für Blau-Weiß und in jedem Fall der Auftakt zu den potentiell besten 35 FCM-Minuten der Partie.
Begünstigt wurde die gute Magdeburger Schlussphase von einem Doppelwechsel in der 66. Minute: Julius Düker sowie Charles Elie Laprevotte verließen den Rasen, Kapitän Marius Sowislo und Torjäger Christian Beck kamen in die Partie. Sofort war ein ganz anderer Zug in den Offensivaktionen, eine gefühlt deutlich stärkere Präsenz im Mittelfeld und spürbar mehr Körperlichkeit im Sturmzentrum zu verzeichnen. Gleich mit seiner ersten Aktion sorgte Christian Beck dann auch für Gefahr, kommt aber nach einem langen Freistoß von Nico Hammann mit dem Kopf am Fünfmeterraum nicht so richtig gut hinter den Ball. Nach 78 Spielminuten klappt das besser, geht aber ein weiterer Abschluss mit dem Kopf nach einer Flanke von Jan Löhmannsröben knapp rechts am Tor vorbei.
Während man sich im Gästeblock so langsam mit der Frage zu beschäftigen begann, ob man eigentlich auch mit einem Punkt zufrieden sein würde, wurde es in der Schlussphase noch einmal so richtig hektisch. Es war jetzt eine dieser Partien, in denen die eigene Mannschaft drückte und man aber gleichzeitig auch irgendwie immer mit einem Konter des Gegners rechnen musste, der im schlechtesten Fall richtig teuer werden könnte, kurzum: die letzten 10 Minuten waren nichts für einen gesunden Ruhepuls. Fünf Minuten vor dem Abpfiff hatten die 1.000 1.500 Magdeburger bereits den Torschrei auf den Lippen. Es gibt noch einmal Freistoß für den Club, der von Tobias Schwede scharf in den Strafraum getreten wird. Bremens Ersatzkeeper Duffner kann den Ball nur prallen lassen, Marius Sowislo trifft mit seinem freien Nachschuss, allerdings auch aus recht spitzem Winkel, nur das Außennetz. Gefühlsstatus jetzt: „Okay, wenn Du so Dinger nicht machst, kannst Du eben auch keinen Auswärtssieg landen.“
Sieben Minuten später. Nachspielzeit. Ein weiterer hoher Ball in den Strafraum, vielleicht die letzte Aktion im Spiel. Beck geht hoch, Duffner kommt raus – und springt dem Stürmer ohne jede Chance auf eine Abwehr des Balles mit Schmackes in den Rücken. Diesmal pfeift Hussein den Elfmeter.
Richard Weil schnappt sich den Ball, Tobias Duffner holt sich an der Seitenlinie wohl noch Tipps zum Schützen, die Zeit zieht sich wie Kaugummi. Psychospielchen. Tausend Gedanken rauschen durch den Kopf, man mag gar nicht hinsehen und tut es letzten Endes ja doch. Richard Weil. Geiler Elfer gegen Münster. Mach’s nochmal! Und Weil macht: langer Anlauf, platzierter Schuss in die rechte untere Ecke. Drin. Und auf den Rängen: völlige Eskalation.
Der Schlusspfiff wenig später geht im allgemeinen Jubeltaumel unter, der Blick auf die Zwischenstände auf den anderen Plätzen lässt ahnen, was später Gewissheit werden sollte: Dieser Elfmeter, dieses Tor in der Nachspielzeit sorgte für einen richtig, richtig dicken Bigpoint im Aufstiegsrennen.
Unter dem Strich bleibt ein Spiel, bei dem sich der 1. FC Magdeburg überhaupt gar nicht hätte beklagen können, wenn es zur Halbzeit schon 0:2 oder 0:3 steht. Ein Spiel aber auch, in dem einmal mehr deutlich wurde, wie wertvoll es sein kann, wenn ein Team an ein System und eine Spielidee glaubt, bis zum Schluss geduldig auf die sich bietenden Möglichkeiten wartet, hinten stabil steht und vorne dann eben auch mal das Glück hat, eine (vollkommen richtige) Schiedsrichterinnen-Entscheidung zu eigenen Gunsten zu bekommen. Und wenn man dann noch einen Richard Weil hat, der vermutlich Eiswürfel pinkelt, dann gewinnt man eben auch solche Spiele. 11 Begegnungen sind es jetzt noch bis zum Saisonende, 11 Tore und eine sattelfeste Abwehr könnten reichen, um Ende Mai in Magdeburg für die nächste große Party zu sorgen. Und ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn die „Wer solche Spiele zieht, steigt auf!“-Menschen Recht behalten würden.
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