Willkommen im gesichtslosen Profifußball-Einheitsbrei, Clubfans!
Zugegeben, die Entlassung von Jens Härtel war zumindest gestern Abend schon so etwas wie ein emotionales Erdbeben. Was komisch ist, weil sich die Entscheidung ja bereits nach dem Spiel gegen Regensburg andeutete und man sich eigentlich hätte darauf vorbereiten können. Trotzdem fühlte es sich im ersten Moment ein bisschen so an, als wäre jemand gestorben. Völlige innerliche Leere, paradoxerweise gepaart mit dem dringenden Wunsch, Dinge kaputtzuschlagen und gleichzeitig dabei zu heulen. Es ist schon einigermaßen irre, was der Fußball mit einem machen kann.
Inzwischen ist eine (kurze und unruhige) Nacht vergangen und liegt ein kompletter Arbeitstag zwischen der Entscheidung, die uns mit ziemlicher Sicherheit noch lange beschäftigen wird, und dem Schreiben dieser Zeilen hier. Vielleicht war es auch ganz gut, gar nicht die Zeit gehabt zu haben, sämtliche Debatten, Meinungsäußerungen und Spekulationen im Detail mitzuverfolgen. So war Gelegenheit, zumindest mal die ersten Emotionen ein wenig herunterkochen zu lassen; dieser Text hier ist nun der Versuch, die Gedanken zu ordnen und erstmal wieder einigermaßen klarzukommen.
Was ist eigentlich passiert? Der 1. FC Magdeburg hat den Trainer entlassen und den Co-Trainer gleich mit. Schaut man auf die nackten Zahlen und auf das Schweinegeschäft Profifußball, ist die Entscheidung grundsätzlich erst einmal nachvollziehbar (was nicht heißt, dass man sie gut finden muss). Das Problem ist eben eher, dass ich vermutlich einfach einem Irrtum aufgesessen war: Ich dachte, mein Club wäre anders. Ich glaubte bzw. hoffte eher, dass sich die verantwortlichen Personen für einen anderen Weg entscheiden würden als den, den man eben so einschlägt in diesem Business. Ich hätte mir gewünscht, dass man sagt: „Nein, wir glauben an dieses Gespann und sind überzeugt davon, dass wir gemeinsam wieder in die Erfolgsspur finden. Und wenn nicht, gehen wir mit diesem Trainerteam eben auch wieder in die 3. Liga.“
Die Gremien haben aber eben anders entschieden. Sie haben im Endeffekt eine Geschäftsentscheidung getroffen, die da heißt: „Wir wollen mit aller Macht versuchen, auch in der kommenden Saison wieder in der 2. Liga zu spielen.“ Mit der Entscheidung kam die Maßnahme, den Trainer zu wechseln. Gewissermaßen (so erklärte es auch Mario Kallnik) als allerletzte Option – wenngleich sich natürlich trefflich drüber streiten lässt, ob die letzte Option nicht eher ein ordentliches Investment in den Kader im Rahmen der Winter-Transferperiode gewesen wäre. Aber hey.
Die Sache ist nun: Kann ich der Vereinsführung wirklich die Schuld dafür geben, dass ich auf diese Entscheidung mit völlig irrationalen Emotionen reagiere? Oder dass ich Jens Härtel möglicherweise auf einen Sockel gehoben habe, den er selbst für sich mit einiger Sicherheit niemals beanspruchen würde? Vermutlich eher nicht. Die Sache ist außerdem: Es ist nicht die erste äußerst unpopuläre Entscheidung, die Mario Kallnik trifft. Man denke nur an die Demission von Andreas Petersen damals, die in einem viel kleineren Rahmen zwar, aber eben auch recht emotional kommentiert wurde. Ähnlich war es im ersten Jahr, in dem Jens Härtel hier Trainer war. Erinnert sich noch jemand an die „Härtel raus!“-Rufe beim Spiel gegen die TSG Neustrelitz? Damals stellte sich Mario Kallnik im Fanprojekt ausführlich der Kritik des Umfelds und verteidigte die Entscheidung, am Trainer festzuhalten. Das Ergebnis ist bekannt. Auch wenn das jetzt keine populäre Meinung ist: Was man Mario Kallnik mit Sicherheit nicht vorwerfen kann, ist, permanent falsche Entscheidungen zu treffen. Auch durch diese Entscheidungen dürfen wir jetzt in Magdeburg Zweitligafußball genießen sehen. Insofern ist die Freistellung von Jens Härtel und Ronny Thielemann, wenn man davon ausgeht, dass das Wohl des Vereins handlungsleitend war, keine Zäsur, sondern die konsequente Fortsetzung des eigenen Führungsstils.
Um aber auch das an dieser Stelle noch einmal ganz klar zu machen: Auch mit einem Tag Abstand halte ich die Trainerentlassung für die grundfalsche Entscheidung. Nur: Wirklich bewerten, ob die Sache nun falsch oder richtig war, kann ich das Ganze erst, wenn der neue Trainer seine Arbeit aufgenommen hat und zwei, drei Spiele ins Land gegangen sind. Bis dahin bin ich erstmal weiterhin emotional stark angefasst und muss vor allem mit der Erkenntnis klarkommen, dass ich mir leider inzwischen auch beim 1. FC Magdeburg meinen fußballromantischen Blick auf die Geschehnisse endgültig in die Haare schmieren kann. Das wiederum führt im Moment bei mir zu einem sehr distanzierten Gefühl dem Club gegenüber. Oder besser: zu einem eher dumpfen Gefühl der emotionalen Orientierungslosigkeit, wenn man das so sagen kann. Und klar hat das was damit zu tun, dass eben auch Jens Härtel die Geschicke meines Vereins die letzten Jahre über geprägt hat, ich nun mal strukturkonservativ bin und mit Veränderungen allgemein nur so semi-gut klarkomme.
Und es ist ja nicht die einzige Zäsur, die in letzter Zeit stattgefunden hat. Auch das Karriereende von Marius Sowislo, der Abschied von Jan Glinker und der Wechsel von Felix Schiller waren so Punkte, die das Lilalaunebär-Gefühl der letzten Jahre schon so ein bisschen haben bröckeln lassen. Immerhin war dann da noch so der Gedanke: „Egal, was kommt, Jens Härtel wird’s schon richten.“ Naja, und der ist nun weg, was auch bedeutet, dass die Ära (und Aura) dieser besonderen, verschworenen Truppe, die sich gemeinsam Erfolge erkämpft, endgültig vorbei ist.
Eins aber bleibt, und das werden mir keine Gremien, keine Entscheidungsträger und keine sportlichen Entwicklungen jemals nehmen können: Die Zeit, die Jens Härtel im Verein war und eine Mannschaft formte, die Historisches geleistet hat, war die schönste Zeit in meinem bisherigen Fan-Leben. Jens Härtel und Ronny Thielemann haben es mit ihren Spielern geschafft, den viel zitierten schlafenden Riesen aufwachen zu lassen. Eine Euphorie in der Stadt zu entfachen, die ich so in meinen 38 Lebensjahren bisher nicht kannte. Jens Härtel, Ronny Thielemann und alle Spieler dieser Ära haben meine Heimatstadt Magdeburg wieder auf die Landkarte gebracht und trotz vieler Unwägbarkeiten in die 2. Fußball-Bundesliga geführt. Dafür gebührt ihnen ewiger Dank und genau so werde ich mich auch an die vergangenen vier Jahre und viereinhalb Monate erinnern – egal, was in dieser Spielzeit und den folgenden noch so geschehen mag.
Insofern bleibt mir nur, danke zu sagen. Danke, Jens Härtel, für zwei Aufstiege! Danke für 91 Siege in 176 Partien! Danke für zwei Landespokalsiege! Danke dafür, den 1. FC Magdeburg wieder ins bundesdeutsche Rampenlicht geführt zu haben! Und danke für eine großartige Zeit, deren Ende in diesem Profifußballbusiness ja im Anfang irgendwie schon angelegt war.
Jens Härtel, Ronny Thielemann – danke für alles! Sie bleiben in Magdeburg unvergessen. Alles erdenklich Gute für Ihren weiteren Weg!
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