„Rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ – so lässt sich das Verhalten des Deutschen Fußball-Bundes in Bezug auf die am 25.05.2016 gegen den 1. FC Magdeburg verhängte Strafe „wegen unsportlichen Verhaltens seiner Anhänger“ wohl ganz gut beschreiben. Nüchtern betrachtet, macht der Verband einfach nur von denjenigen Instanzen der Sportgerichtsbarkeit Gebrauch, die er sich selbst gegeben hat. Gleichzeitig dokumentiert sein Handeln aber auch eine Einstellung, bei der man sich in Frankfurt eigentlich nicht wundern kann, dass die Fußballfans landauf, landab das Gebaren des größten nationalen Sport-Fachverbandes der Welt zunehmend, naja, eigentümlicher finden. Indem man erst eine Strafe verhängt, diese nach Einspruch des betroffenen Vereins umwandelt und anschließend – gewissermaßen gegen sich selbst – in Berufung geht, demonstriert man eindrucksvoll: Die Deutungshoheit über den Fußballsport und über das Verhalten derjenigen, die ihm leidenschaftlich anhängen, hat der Verband und nur der Verband allein. Das ist nicht nur gewaltig anmaßend und übergriffig, sondern auch gefährlich zu kurz gedacht.
Was ist eigentlich überhaupt passiert?
Am 25.05.2016 widerrief der DFB zunächst eine Bewährungsfrist und verurteilte den 1. FC Magdeburg dann zu einem Zuschauer-Teilausschluss (der die Blöcke 3-6, also die Nordtribüne, betrifft) für die ersten beiden Drittliga-Heimspiele der Saison 2016/2017. Zusätzlich wurde eine Geldstrafe von 9.000 EUR fällig. Damit ahndete der Verband gleich mehrere Vorfälle, wie man der entsprechenden Pressemitteilung des 1. FC Magdeburg entnehmen kann. Entschieden wurde die ganze Sache im Einzelrichterverfahren vor dem Sportgericht des DFB.
Direkt am nächsten Tag, also am 26.05.2016, legte der Verein gegen dieses Urteil Einspruch ein und erwirkte so eine mündliche Verhandlung. Diese fand gut einen Monat später ebenfalls vor dem DFB-Sportgericht statt. Das Ergebnis:
„1. Statt des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung hat das DFB-Sportgericht entschieden, die Bewährungszeit um weitere 12 Monate zu verlängern.
2. Der im Urteil vom 25.05.2016 zudem noch ausgesprochene zweite Zuschauerteilausschluss ist mit einer Erhöhung der Geldstrafe abgegolten.
3. Der Verein wird zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 30.000 Euro verurteilt, von denen 10.000 Euro für präventive Maßnahmen einzusetzen sind.“ (Pressemitteilung des 1. FC Magdeburg vom 30.06.2016)
Auch wenn die Reaktionen auf dieses Ergebnis, so man denn die sozialen Medien als Maßstab nehmen möchte, geteilt waren, handelte es sich dabei doch um einen bemerkenswerten Verhandlungserfolg des 1. FC Magdeburg. Statt einer leeren Block-U-Hintertortribüne in zwei aufeinanderfolgenden Spielen sollte man nun ’nur‘ 21.000 EUR mehr bezahlen und müssten sich Verein und Fanszene lediglich weitere 12 Monate bewähren. In Anbetracht des wirtschaftlichen Schadens, den eine komplette Schließung der Nord wohl nach sich gezogen hätte und angesichts der Vorfälle, die da so geahndet wurden (u.a. Betreten des Platzes und Pyrotechnik) war dieses Ergebnis fast schon sensationell. Und im Nachhinein betrachtet eins, das der DFB eigentlich nicht auf sich sitzen lassen konnte. Konsequenz: Der DFB-Kontrollausschuss legte am 01.07.2016 Berufung ein, sodass der Fall nun vor dem DFB-Bundesgericht erneut verhandelt wird. Ausgang offen, Termin und Berufungsbegründung ebenso.
Sportgericht? Bundesgericht? Kontrollausschuss?
An dieser Stelle macht es vielleicht Sinn, mal eben einen Blick auf das Verbandsrecht beim DFB zu werfen. Dabei handelt es sich um „eine eigene juristische Basis […], auf der die Vereine und Verbände den Spielbetrieb, das Zusammenleben ihrer Mitglieder und die Rechte und Verpflichtungen eigenständig regeln können.“ Weiter heißt es:
„Satzung und Ordnungen, für die – verabschiedet von der DFB-Legislative, an höchster Stelle der DFB-Bundestag – das Gemeinwohl des Fußballs absolute Priorität hat, sichern die Rechtsgrundlagen der beispielhaften juristischen Selbstverwaltung und ziehen die erforderlichen Grenzen.“ (dfb.de)
Es gibt im Prinzip zwei Rechtsinstanzen, das oben bereits erwähnte Sportgericht, von dem sowohl besagte Strafe verhängt als auch der Einspruch des 1. FC Magdeburg mündlich verhandelt wurde, und das Bundesgericht, vor dem unser Fall inzwischen liegt. Der Kontrollausschuss, der gegen das Verhandlungsergebnis vom 30.06. Einspruch einlegte, nimmt dem DFB zufolge „eine zentrale Rolle in der Verbandsgerichtsbarkeit“ ein und ist „zuständig für die Aufnahme von Ermittlungen, die Erhebung der Anklage und den Vorschlag für das Strafmaß (Strafantrag)“. Der Kontrollausschuss agiert damit gewissermaßen „in staatsanwaltlicher Funktion“(dfb.de).
So weit, so einfach?
Versucht man mal kurz, sich in die Lage des Verbandes zu versetzen, konnte der DFB im Prinzip gar nicht anders handeln, als die „Causa FCM“ vor das eigene Bundesgericht zu bringen: Nicht nur hatte es ein Verein gewagt, gegen eine Sanktion Einspruch einzulegen, die ja „das Gemeinwohl des Fußballs“ schützen sollte. Nein, besagter Verein hatte zu allem Überfluss auch noch ordentlich Erfolg damit. Das sendet natürlich ein fatales Signal: Pyrotechnik ist zwar verboten, aber für 30.000 EUR zu haben, wenn man sich nur wehrt; ein unerlaubtes Betreten des Platzes gibt es außerdem als Bonus oben drauf. Man stelle sich mal vor, das macht Schule: Wie soll man denn dann noch einen Landespokal-Ausschluss für Pyro und Platzsturm nach dem Aufstieg (!) in die fünfte Liga (!!) rechtfertigen oder Proficlubs dafür zur Kasse bitten, dass die eigenen Anhänger nach der Rückkehr in die 2. Liga ausgelassen und friedlich mit der Mannschaft auf dem Rasen feiern? Oder eine von Stadt und Verein genehmigte (!) Pyroshow in einem Testspiel (!!) bestrafen? Das geht nun wirklich nicht. Es kann halt nicht sein, was nicht sein darf. Und so schräg das klingt: Aus der Perspektive des DFB muss das tatsächlich logisch erscheinen.
Die Frage ist halt, was der DFB mit solchen Maßnahmen und Handlungen eigentlich bezwecken will. Auf diese Weise einen Verzicht der Fankurven auf Pyrotechnik zu erreichen, ist doch, mit Verlaub, vollkommen blauäugig. Das Ziel ist ja per se schon illusorisch und wenn sich mit solchen Strafen in diese Richtung überhaupt irgendwas ändert, dann höchstens die Einstellung gegenüber der sanktionierenden Instanz. Und zwar nicht in die positive Richtung. Im Grunde ist es ja so: Reizvoll ist, was verboten ist. Wenn das Verbotene jetzt auch noch derart überhöht wird, dass selbst kleinste Verfehlungen zu verhältnismäßigen Mondstrafen führen, wird das Reizvolle noch viel reizvoller. Aufmerksamkeitsökonomie halt.
Dass man ‚Transparenz‘ in der Otto-Fleck-Schneise allerhöchstens mit schicken Fensterfronten in Verbindung bringt, macht die Sache nicht einfacher. ‚Zählt‘ das Betreten des Innenraums für allerhöchstens 3 Minuten von einer Handvoll Leuten infolge eines Siegtores der eigenen Mannschaft in der 89. Minute (Münster) genauso viel wie das Aufbrechen eines Stadiontores mit dem offensichtlichen Ziel, Menschen an die Wäsche zu wollen (Großaspach)? Ist Bengalo nicht gleich Bengalo, geht es da vielleicht eher nach Größe und Brenndauer als nach Anzahl? Und spielt es eine Rolle, ob die Fackel im Chemnitzer, Magdeburger, Dresdner oder Rostocker Block brennt? Und wie genau bedroht ein ausgelassener Aufstiegsjubel auf dem Rasen des eigenen (!) Stadions eigentlich „das Gemeinwohl des Fußballs“?
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wenn etwas verboten ist und ich mache das dann trotzdem, muss ich mit Konsequenzen rechnen. So ist es natürlich auch im Fußball. Und Pyrotechnik ist genauso verboten wie ein Platzsturm. Soweit klar. Nur wenn die Konsequenzen dann Formen annehmen, die weder nachvollziehbar sind noch die eigentliche Verfehlung bestrafen, sondern auf die dahinter liegende Frage abzielen, wer wann wie und warum zu handeln und wer das eigentlich zu bestimmen hat, dann wird es problematisch. Genauso, wie wenn ein Verein (wie im Fall von Aue) wegen mangelnder Erfolgsaussichten in den im Rahmen des Verbandsrechts offen stehenden Instanzen gleich darauf verzichtet, gegen verhängte Sanktionen vorzugehen. Dann ist nämlich mit der Sportgerichtsbarkeit ganz grundsätzlich etwas nicht in Ordnung.
Und klar kann man als Verband nach der großen die noch größere Keule rausholen, nur hilft das erfahrungsgemäß herzlich wenig – wenn man daran interessiert ist, gut miteinander auszukommen jedenfalls.
Insofern ist das, was da bei der Berufungsverhandlung vor dem Bundesgericht irgendwann herauskommt, in gewisser Weise schon richtungsweisend. Und wenn alle Stricke reißen, gibt es ja möglicherweise immer noch das Schiedsgericht. Immer getreu dem Motto: „Rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln…“
Beitragsbild: „Potato“ (geändert) von Christoph Rupprecht, Lizenz: CC BY-SA 2.0.
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