Ein Versuch darüber, wie es sich anfühlt, wieder in den Rückwärtsgang zu schalten und was wir dabei verloren haben
Ein Gastbeitrag von @SEB_MD
Dass angenehme Zeiten schnell wieder vorbei sein können, haben wir gewusst. Anders formuliert: Wir hätten es eigentlich wissen müssen. Diese Feststellung allein macht die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate aber auch nicht erträglicher. Aber was genau ist eigentlich geschehen? Und warum fühlt sich das alles so merkwürdig an?
Als der Abstieg feststand, war ich zu keiner echten Gefühlsregung fähig. Weder waren die geradezu entrückten Ereignisse jenes Nachmittags irgendwelcher Tränen würdig, noch wäre es überhaupt angemessen gewesen, ob des Umstandes, dass wir in der kommenden Spielzeit eben nicht mehr an jedem Spieltag bei Sky zu sehen sind, in tiefe Trauer zu verfallen. Als meine dem Fußballzirkus eigentlich sehr ferne Freundin mich nur etwa eine Stunde nach Abpfiff bei meiner Heimkehr (Als Spreefeuerer hatte man es von der Alten Försterei ja nicht weit) in die Arme nahm und ihrer Anteilnahme versicherte, verlor ich dann aber doch kurz die Fassung und musste schluchzen. Ich habe freilich darauf geachtet, dass sie‘s nicht mitbekommt, wollte ich doch um jeden Preis vermeiden, Dinge erläutern zu müssen, die vorher nur allzu oft als völlig unverständlich, gar unsinnig geschmäht worden waren.
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Rückblende: Es ist ein gutes Jahr her, dass wir, gleichermaßen gebrandmarkt von und gewaschen mit den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, den Aufstieg in die 2. Liga gefeiert haben. Viele von uns – ich gehörte dazu – konnten und wollten nicht so recht begreifen, was seinerzeit geschah. Nur drei Spielzeiten nach der „Erlösung von Offenbach“ sollte das Abenteuer 3. Liga schon wieder vorüber sein. Manch einer wusste, dass dieser Tag im April 2018 auch bedeuten würde, dass sich so einiges ändern würde.
Vorspulen in die Gegenwart der Sommerpause 2019: Wir haben tatsächlich viel verloren in der kürzlich zu Ende gegangenen Spielzeit. Da wären nicht nur 16 Pflichtspiele, die wir verloren haben, wobei man sich in mindestens der Hälfte der Fälle als Fan bis Anpfiff des nächsten Spiels gefragt hat, wie zum Henker man hier (oder dort) eigentlich als Verlierer vom Platz gehen konnte. Wir haben währenddessen auch mit unserem Meistertrainer denjenigen verloren, der wohl den größten Anteil daran gehabt haben dürfte, dass wir aus den Niederungen der Bedeutungslosigkeit in neue Sphären vorgestoßen sind und der nun in der kommenden Saison als Gast wieder an seine alte Wirkungsstätte zurückkehren wird (Kinder, das wird merkwürdig, soviel ist sicher!).
Vielleicht ist er es auch, den wir am meisten vermissen werden. Über Niederlagen trösten Siege irgendwann hinweg. Aber vom Verlust des ausweislich einer Block-U-Choreo einzig legitimen Nachfolger Heinz Krügels habe zumindest ich mich immer noch nicht so richtig erholt. Damit ich nicht missverstanden werde: Ich gehörte zu denjenigen, denen im Herbst 2018 der Glaube daran fehlte, dass die Mannschaft das Ruder in der damaligen Konstellation noch hätte herumreißen können. Der Wechsel auf dem Trainerstuhl war insofern schon eine richtige Entscheidung, fürchte ich.
Man kann natürlich aber darüber streiten, ob es rückblickend betrachtet wirklich nötig war, denn auch mit einem neuen Cheftrainer gelang es ja nicht, die Klasse zu halten. Der Punkt ist ja der: Letzten Endes hätten wohl vor der Saison die meisten Clubfans den Satz „Mit Jens Härtel gehen wir zur Not bis vor die Tore der Hölle und wieder zurück“ unterschrieben. Und da fühlt es sich folglich irgendwie nicht richtig an, mit ihm nicht auch wieder in die 3. Liga zu gehen. Zumal die Tore der Hölle – die Älteren unter uns wissen dies – nun wirklich noch sehr weit entfernt davon sind.
Aber die Zeit lässt sich bekanntermaßen nicht zurückdrehen. Und das Betrauern der Vergangenheit allein hat noch selten positive Auswirkungen auf die Zukunft gehabt. So ist es nunmal, das viel zitierte Geschäft.
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Ich weiß nicht mehr genau, wann und wo ich es aufgeschnappt habe. Irgendjemand soll vor einiger Zeit beschrieben haben, dass es etwas gibt, dass nur Fußballfans haben und kennen: Nämlich, dass alle möglichen Menschen ihres Freundes- und Bekanntenkreises über Ländergrenzen und Erdhalbkugeln hinweg an sie denken müssen, wenn sie über Spieltagsergebnisse und Co. des zum jeweiligen Fan gehörenden Vereins lesen. Das gilt natürlich vor allem bei großen Erfolgen – die Anzahl der Glückwunschbotschaften, die ich im April 2018 erhielt, zeugen davon.
Aber selbst bei großen Misserfolgen findet sich dieses Phänomen. Mich erreichten in den letzten Tagen und Wochen viele aufmunternde Worte, teilweise von Menschen, die ich seit sehr langer Zeit nicht gesprochen habe. Allen entgegne ich nach dem obligatorischen Dank und der kurzen Analyse, wonach der Abstieg sportlich angesichts der Resultate alles andere als unverdient sei, aber immer das gleiche: Alles halb so schlimm! Diejenigen, die mich etwas besser kennen, reagieren dann in der Regel überrascht. Sie können sich nämlich noch genau erinnern, wie sehr strapaziert mein Nervenkostüm in den letzten beiden Aufstiegssaisons war und als wie zermürbend ich die Zeit jeweils im Rückblick beschrieb.
Es ist ja auch schwer zu erklären, warum die Welt ausgerechnet deswegen nun eben nicht untergegangen ist. Aber ich bleibe dabei: Eine solche Aussage wäre im Angesicht der Vergangenheit schlicht unangebracht. Das soll nicht bedeuten, dass ich die 2. Liga leichtfertig herzuschenken bereit bin (Eine solche Unterstellung in Richtung derjenigen, die nun vergleichsweise entspannt mit dem Abstieg umgehen, ist mir aus den letzten Tagen irgendwo im ‚Twitterversum‘ erinnerlich). Nein, ganz im Gegenteil: Für mich steht unumstößlich fest, dass ziemlich harte Zeiten warten und wir uns für eine Rückkehr ins Unterhaus ganz gewaltig strecken müssen. Zwischen uns und einem zweiten „Heimsieg“ im Volksparkstadion stehen im Moment unfassbar große Hürden. Ich für meinen Teil wäre überaus zufrieden, wenn wir in der kommenden Saison nicht gleich in den nächsten Abstiegskampf stolpern.
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Die unvergleichliche Lauren Mayberry hat es besungen. Und sie hatte recht: Man kann leider nicht ewig mit Kopf und Herz in der Hand seinen Gedanken nur irgendwo in den Wolken nachhängen. Wir hätten es also wissen können. Und doch wäre es schön gewesen, wenn wir noch eine Weile länger hätten träumen dürfen.
Vielleicht sind also die Leichtigkeit und diese herrliche Form der Selbstvergessenheit, die sich in den letzten Jahren in fast schon angenehmen Maße ausgebreitet hatte, in Wahrheit der größte Verlust, den wir erlitten haben. Schade eigentlich.