Permalink

2

Hoffnungsvoller Auftakt

Lust

1. FC Magdeburg – SV Darmstadt 98, DFB-Pokal 2020/2021, 1. Runde, 2:3 n.V. (2:0, 2:2)

Ach, ärgerlich, dass der 1. FC Magdeburg gegen den Zweitligisten aus Darmstadt nur eine Halbzeit lang wirklich mutig spielte und hinten raus dann wohl auch so ein kleines bisschen die Kraft fehlte. Dann wiederum: Wenn mir vor der Partie jemand gesagt hätte, dass wir in der ersten Pokalrunde gegen einen klassenhöheren Gegner 120 Minuten gehen werden, hätte ich das vermutlich sofort unterschrieben. Es war eine interessante Partie, die beide Teams den Zuschauer*innen im Stadion und an den Fernsehschirmen boten, und dass sich der Favorit letztlich verdient durchsetzte, wird man an der Elbe verschmerzen können. Wichtiger sind sicher die Erkenntnisse, die Thomas Hoßmang und sein Team mitnehmen konnten und gut ist auch, dass der Auftritt insgesamt zuversichtlich stimmt, was den Ligastart am kommenden Wochenende betrifft.

Thomas Hoßmang nahm gegenüber dem letzten Test gegen den VfL Wolfsburg noch zwei Veränderungen in der Startformation vor und schickte sein Team im 4-2-3-1 auf’s Feld: Das Tor hütete der als Nummer 1 bestätigte Morten Behrens, davor gaben von links nach rechts Timo Perthel (für Leon Bell Bell), Tobias Müller, Korbinian Burger und Raphael Obermair die Viererkette. Die Doppelsechs besetzten Jürgen Gjasula und Adrian Malachowski, während Luka Sliskovic, Sören Bertram (für Sirlord Conteh) und Daniel Steininger die offensive Mittelfeld-Dreierreihe stellten. Einzige Spitze zu Beginn war Christian Beck.

Hubschrauber-Müller, Steckpass-Steininger

Das Spiel begann so, wie man sich das in einer Pokal-Partie immer wünscht: Der Club war engagiert und mutig, störte früh den Darmstädter Spielaufbau und sorgte seinerseits in der sechsten Minute für die erste Torannäherung – Gjasula zog einen Freistoß von rechts weit in den Strafraum, Luka Sliskovic setzte seinen Schuss dann aber ein gutes Stück zu hoch an.

Derweil auf den Rängen: „Vorwärts, Magdeburger Jungs“-Wechselgesänge, die mir am Schreibtisch sowohl eine Gänsehaut verpassten als möglicherweise auch das eine oder andere Tränchen ins Sichtfeld zauberten. Jedenfalls war, den Umständen entsprechend, mächtig Alarm in der Bude und das klang wie lange vermisste Musik in den geneigten Clubfan-Ohren.

In der siebenten Minute deutete der Gast aus Hessen erstmals seine Gefährlichkeit an, als ein Fehler von Tobias Müller zu einer guten Darmstädter Umschaltbewegung führte. Morten Behrens war aber aufmerksam, spielte mit und konnte den gut gedachten Vertikalpass problemlos abfangen. Joa. Und dann stand es nach 13 Minuten plötzlich 1:0 für die Größten der Welt. Ausgangspunkt war der insgesamt sehr gefällige Raphael Obermair, dessen Flanke von der rechten Seite irgendwie zu Kapitän Beck durchrutschte. Dort wird die Situation zunächst geklärt, es gibt aber Ecke für den FCM. Gjasula kurz auf Bertram, der wiederum für Gjasula klatschen lässt – erneute Flanke in die Mitte und dort steigt Tobias Müller am höchsten, um die Kugel zur Führung einzunicken. Am heimischen Bildschirm das erste Mal halb ungläubiges Augenreiben: War das wirklich eine Eckballvariante? Eine, die funktioniert hat? Zur Führung im Pokal? Fantastisch! Und gar nicht mal so unverdient, so konnte es weitergehen.

Und weiter ging es auch: In der 17. Minute wurde der ebenfalls richtig gute Sliskovic gefoult, es ergab sich eine ganz ähnliche Freistoßposition wie vor dem Führungstreffer. Gjasula schlenzt den Ball direkt aufs Tor, wo Darmstadts Keeper Klaus nur mit der Faust abwehren kann, dafür aber auch gleich einen Konter einleitet. Blau-Weiß aber direkt mit Druck auf den Gegner, was zu einem ungenauen Ball in die Tiefe führt, den Morten Behrens schließlich problemlos kassiert.

Es dauerte bis zur 23. Minute, ehe der Zweitligist die erste, richtig gefährliche Aktion verzeichnen konnte. Von links kommt der Ball in den Magdeburger Strafraum und fällt dort Mehlem vor die Füße. Beim Abschlussversuch steht Tobias Müller im Weg, es scheppert knackig, Schiedsrichter Gräfe entscheidet auf Stürmerfoul. Hier war erstmal Durchatmen angesagt, was für Müller gleich in doppelter Weise galt: Er zog sich in der Szene eine Blessur im Brust-/Rippenbereich zu und musste in der 32. Minute für Brian Koglin ausgewechselt werden.

Bevor es soweit war, gab es in der 26. Minute aber erst einmal das 2:0 für die Hausherren, und was war das für ein schöner Treffer! Christian Beck mit der Fußspitze vorbei am Darmstädter Keeper, vorher aber ein sensationelles Anspiel von Daniel Steininger aus der Zentrale: Mit einem überragenden Steckpass spielt er seinen Kapitän frei, der dann in guter, alter Torjäger-Manier keine Probleme hat, die Vorlage auch zu verwerten. Mittelgroße Eskalation in Gießen-Allendorf, dem Vernehmen nach eher heftige Feierei im Heinz-Krügel-Stadion. Feine Sache, so musste das! Und das Beste an der ganzen Geschichte: Die Führung ging auch in der Höhe so in Ordnung. Darmstadt zwar bemüht, aber immer wieder unpräzise, der Club schön kompakt, mutig, spielfreudig und mit Standard- und Passqualitäten bei den Toren, die man zuletzt doch arg vermisst hatte. Das machte Spaß und Lust auf mehr; mit dem 2:0 ging es schließlich in die Pause.

Darmstadt dreht auf

Dass Darmstadts Trainer Markus Anfang der Auftritt seiner Elf in den ersten 45 Minuten nicht gefallen haben konnte, lag auf der Hand. Die Frage war nun, was er wohl verändern und wie der Club darauf reagieren würde.

Wie der zweite Durchgang laufen sollte, deutete sich bereits nach 52 Minuten an, als Darmstadt einen schönen Ball von links hinter die Magdeburger Abwehrkette spielen konnte und Torjäger Dursun mit seinem Abschluss an der Latte scheiterte. Und so ging es munter weiter: Eine Minute später erneut ein überragender Ball hinter die letzte Linie, diesmal war es Marvin Mehlem, den ein schöner Pass vom immer quirligen Braydon Manu erreichte. Im 1 gegen 1 ließ er Behrens keine Chance und zack! stand es 2:1. Das hatte sich angedeutet und auch, wenn das spielenderweis‘ wahrscheinlich alles komplizierter ist: Am Bildschirm sahen diese Bälle, die unsere Abwehr recht problemlos aushebeln konnten, viel, viel zu einfach aus. Nach einer entspannt-freudigen ersten Hälfte hatte ich nun jedenfalls Puls und die doch recht konkrete Befürchtung, dass das Momentum nun endgültig zugunsten der Gäste kippen könnte.

Dann Spielminute 55 und wer weiß, ob Christian Beck der Partie in diesem Moment nicht vielleicht doch noch einmal eine andere Wendung hätte geben können: Obermair hatte wieder von rechts geflankt und den Ball passgenau auf den Kopf des Kapitäns gezirkelt, der ihn auch aus vollem Lauf mitnimmt, aber nur den Keeper anknöpfen kann. Tolle Szene von allen dreien: Von Obermair für die Flanke, von Beck für den dynamischen Abschluss, von Karl Claus im Tor aber auch für eine echte Glanztat. Weiter 2:1 also, wenngleich es natürlich gut tat, zu sehen, dass der Club nach wie vor zu Chancen kam.

Auf der anderen Seite galt das allerdings genauso, mit dem Unterschied, dass Darmstadt es nun geduldig, aber zielstrebiger als noch im ersten Durchgang spielte und immer wieder davon profitierte, dass unsere Abwehrreihe doch recht hoch positioniert war. Nach 66 Minuten im Prinzip das gleiche Spiel wie schon vor dem 2:1: Ein langer Diagonalball auf die linke Seite reicht Darmstadt, um eine weitere Tormöglichkeit zu kreieren. Per Kopf wird das Spielgerät in die Mitte bugsiert, wo Tobias Kempe nach einer Ablage von Dursun einfach mal mit Schmackes abzieht, den Ball perfekt trifft und ihn in „Tor des Monats“-Manier zum Ausgleich rechts oben in den Knick schweißt. Ganz stark gemacht, Behrens ohne Chance.

Tja, und nun ging naturgemäß das Zittern los. In der 67. Minute brachte Thomas Hoßmang Kai Brünker und Sirlord Conteh für Sören Bertram und Luka Sliskovic, an der grundlegenden Spielrichtung änderte sich aber nicht viel. Darmstadt spielbestimmend, der Club im Verteidigungsmodus und mit zunehmend weniger entlastenden Aktionen nach vorn. So ein bisschen drängte sich der Eindruck auf, dass die Anspannung auch im Stadion stieg – so um die 75. Minute herum wurde es jedenfalls ziemlich ruhig im weiten Rund.

Wahnsinnig viel passierte dann bis zum Ende der regulären Spielzeit nicht mehr, sieht man von einem tollen Obermair-Dribbling bis in den Strafraum (80.) und zwei Darmstädter Szenen mit ordentlich Torgefahr (78., 83.) einmal ab. Interessant wurde es aber in der 86. Minute nochmal, als nämlich Perthel und Steininger das Feld verließen und für sie mit Andreas Müller und Philipp Harant zwei noch sehr junge Akteure eingewechselt wurden. Dass beide in dieser Phase reinkommen, zeigt auch ein großes Zutrauen des Trainers in die Fähigkeiten beider Spieler, was prinzipiell natürlich erst einmal eine gute Sache ist. Wie ein derart defensiver Wechsel mit Blick auf die anstehende Verlängerung zu bewerten ist, ist freilich noch einmal eine andere Diskussion. Der Club fand sich nun in einer Formation wieder, die wie ein 5-3-2 aussah: Burger, Koglin, Harant, Gjasula und Malachowski bildeten so etwas wie eine Fünferkette, Andreas Müller fand sich neben Brünker im Mittelfeld wieder, Beck und Conteh gaben den Sturm.

Eine kolossale Anspannung war nun nicht mehr zu verhehlen, nach einem eher ungefährlichen Gjasula-Freistoß ging es schließlich in die Verlängerung. In Anbetracht des Spielverlaufs in den zweiten 45 Minuten darf das allerdings durchaus als Teilerfolg verbucht werden.

Honsak entscheidet, der Club kämpft

In den 30 Bonusminuten brauchte Darmstadt dann nicht lange, um das Spiel endgültig zu drehen. Wieder reicht ein Ball hinter die Abwehr, diesmal ist es Honsak, der nach 100 Minuten zum inzwischen völlig verdienten 2:3 einnetzen kann. Ach, ärgerlich, zumal, wie eingangs erwähnt, nun auch die Kräfte schwanden. Dennoch gab es in den zweiten 15 Minuten noch einige Gelegenheiten, Blau-Weiß ins Elfmeterschießen zu bringen und auch dieser Fakt ist eigentlich einer, der hoffnungsvoll stimmen und Mut machen kann. Da führst Du erst mit zwei Toren, musst dann drei Gegentreffer hinnehmen und versuchst trotzdem alles, um noch irgendwie zum Ausgleich zu kommen. Ich kann mich an einige Spiele in der Rückrunde der vergangenen Saison erinnern, in denen eine solche Reaktion vermutlich nicht eingetreten wäre.

So hatte Conteh nach 112 Minuten den Ausgleich auf dem Fuß, scheiterte von rechts aber an Karl Claus im Darmstädter Kasten. Christian Beck stand nach 113 Minuten und einem richtigen Schlitzohr-Kopfball der Pfosten im Weg. Und Kai Brünker verzog nach schöner Flanke von Malachowski aus halbrechter Position links am Tor vorbei (114.). Klar kann man nun darüber diskutieren, ob einer dieser Bälle nicht vielleicht hätte reingehen müssen. Nach dieser intensiven Partie gibt es aber keinen Vorwurf an die Mannschaft; hinten raus nach über 100 Minuten überhaupt noch mal zu Chancen zu kommen, ist in diesem ersten Pflichtspiel aller Ehren wert.

Fazit:

Insgesamt war das ein blau-weißer Auftritt, der trotz des ärgerlichen Endstandes große Lust auf mehr macht. Bitte weiter so mutig, wie in Halbzeit 1, bitte weiter so engagiert, wie dann auch noch mal in der Schlussphase, dann sollte das doch eigentlich klappen mit den ersten Punkten in der Liga. Und wenn dann die Neuzugänge den guten Eindruck aus dem ersten Pflichtspiel weiter bestätigen können und wir die Anfälligkeit bei hohen Bällen schnell abgestellt bekommen, könnte das doch eine richtig, richtig interessante Saison werden. Ich freue mich drauf!

2 Kommentare

  1. Pingback: Viele Baustellen - nurderfcm.de

  2. Pingback: Ein Spiel, zwei Perspektiven: Hallescher FC (H) - nurderfcm.de

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.