F.C. Hansa Rostock – 1. FC Magdeburg, 33. Spieltag, 1:1 (0:0)
Hätte Jan Löhmannsröben nach knapp 76 Minuten nicht einen harmlosen, hohen Ball ohne Not direkt an die Rostocker Verteidigung abgegeben, anstatt ihn einfach in aller Ruhe anzunehmen und weiterzuverarbeiten, wäre der F.C. Hansa nicht über rechts ins Laufen gekommen. Und hätte die Defensive um Nico Hammann auf eben jener rechten Rostocker Offensivseite gleich beherzter zugepackt, statt Tim Väyrynen mit dem Ball am Fuß in aller Ruhe 30 Meter laufen zu lassen, wäre die Situation, die letztlich zum Elfmeter für die Gastgeber führte, womöglich nie entstanden. Und hätte Kiel dann in Erfurt nicht noch den Last-Minute-Ausgleich erzielt, wären gut 2.000 Clubfans nach der Partie mit einiger Wahrscheinlichkeit als fröhliche Anhänger eines Drittliga-Zweitplatzierten wieder nach Hause gefahren. Hätte, hätte, Fahrradkette. Ärgerlich nur, dass man Fußball nun mal nicht im Konjunktiv spielt.
Fakt ist: in einem insgesamt ziemlich großartigen Traditionsduell trennten sich der F.C. Hansa Rostock und der 1. FC Magdeburg am 33. Spieltag vor 20.400 Zuschauern unter dem Strich wohl leistungsgerecht mit einem 1:1-Unentschieden. Hansa mit einigen hochkarätigen, aber ungenutzten Chancen in Durchgang 1, der FCM mit der zu jenem Zeitpunkt verdienten Führung in der zweiten Hälfte und Pech mit einer Schiedsrichter-Fehlentscheidung, die dann, wie das in der letzten Zeit eben so passiert, noch den Ausgleich für den Gegner bringt. Das kann man Pech nennen oder Unvermögen oder Benachteiligung oder mangelnde Konzentration oder was auch immer – am Ende des Tages ändert es nichts daran, dass es im Saisonendspurt abermals nicht gelang, eine knappe Führung – völlig egal, wie – über die Zeit zu retten. Und das kann einen langsam doch so einigermaßen ärgern, egal, ob der Gegner nun Kiel, Chemnitz, Traktor Dahlenwarsleben oder eben Hansa Rostock heißt. Aber von vorn:
Da sich die Mannschaft inzwischen ja fast schon von allein aufstellt, gab es in der Anfangsformation des Teams von Jens Härtel keine großen Überraschungen: Leopold Zingerle hütete das Tor, Nico Hammann, Steffen Puttkammer und Christopher Handke bildeten die Dreierkette, davor liefen Jan Löhmannsröben und Marius Sowislo im zentralen Mittelfeld auf, während Tobias Schwede und Nils Butzen die Außenbahnen besetzten. Im Sturm begannen Michel Niemeyer links, Christian Beck zentral und Tarek Chahed auf der rechten Seite.
Die ersten, zarten Duftmarken setzten allerdings erst einmal die Gastgeber: Fünf Minuten waren gespielt, als Hansa Rostock bereits zwei Ecken und einen Freistoß aus aussichtsreicher Position auf der Habenseite hatte. Beim FCM hingegen dauerte es ein wenig, bis man sich vor ordentlich lautstarker und sowohl im Heim- als auch im Gästebereich engagierter Kulisse im Spiel zurechtfand: eine letztendlich eher harmlose Flanke von Christopher Handke aus dem rechten Halbfeld nach 10 Minuten war das erste offensive Lebenszeichen der im dunklen Auswärtsdress auftretenden Magdeburger.
Nach einer Viertelstunde dann die erste richtig gute Gelegenheit im Spiel: Über Tobias Schwede und Marius Sowislo kommt der Ball zu Michel Niemeyer, der auf seiner linken Seite ein wenig Platz hat, in die Mitte flanken kann und dort erneut Marius Sowislo findet. Dessen Kopfball segelt knapp am linken Pfosten vorbei, Marcel Schuhen im Rostocker Tor hätte den womöglich nicht mehr gesehen. Abgefälscht war der Abschluss wohl noch dazu, sodass es eine Ecke gibt, die erneut der Kapitän per Kopf zu verwerten versucht. Diesmal geht der Ball aber ohne Fremdeinwirkung ins Aus – Abstoß für Hansa.
Weitere fünf Minuten später muss es dann eigentlich 1:0 für Rostock stehen, und zwar streng genommen gleich mehrfach: zunächst ist es der insgesamt überragende Stephan Andrist, der bei einem Rostocker Konter der gesamten Magdeburger Innenverteidigung davonläuft, frei vor Leopold Zingerle auftaucht und den Magdeburger Schlussmann zu einer ersten Glanzparade zwingt. Weil der FCM den Ball im Anschluss nicht aus der Gefahrenzone bekommt, ergibt sich im weiteren Verlauf eine zweite gute Schussmöglichkeit für Rostock und Andrist. Erneut ist es Zingerle, der diesmal allerdings seine Flugeigenschaften unter Beweis stellen und den Ball letztlich souverän festhalten kann.
In einem Spiel, das jetzt (passend zur Küste und zum Rostocker Wind, der ordentlich durchs Ostseestadion pfiff) hin und her wogte, war es nun wieder der FCM, der um Spielkontrolle bemüht war und versuchte, gegen defensiv gut stehende Gastgeber gefährlich vor deren Tor zu kommen. Nach 25 Minuten klappte das erneut recht ansprechend: Jan Löhmannsröben stibitzt den Ball im Rostocker Spielaufbau, chippt ihn in den Strafraum und findet dort Marius Sowislo, der auf den mitgelaufenen Christian Beck ablegen kann. Der aber kann nicht direkt abschließen, weil er noch entscheidend gestört wird; zwar unter reichlich Körper- und Materialeinsatz durch Rostocks Matthias Henn, letztlich aber aus der Perspektive von Schiedsrichter Wolfgang Stark wohl nicht zwingend Elfmeter-würdig. Weiter ging’s.
32 Minuten waren gespielt, als erneut ein Magdeburger in aussichtsreicher Position zentral im Strafraum an den Ball kommt. Diesmal ist es Tobias Schwede, den es immer wieder in die Mitte zog und der in dieser Szene, von Christian Beck schön gesehen, den Abschluss um Zentimeter verpasst. Kein Problem für Rostocks Schuhen, der zwar viele Bälle in den Sechzehner bekam, in der ersten Hälfte aber trotzdem, anders als sein Gegenüber, kaum wirklich mal in höchster Not retten musste. Der Club jetzt mit seiner besten Phase im ersten Durchgang, einer weiteren Chance durch Schwede (der es mit einem Drehschuss versucht, 33.) und einem Kopfball von Steffen Puttkammer nach Ecken-Variante mit Schwede und Hammann, den der Rostocker Keeper aber sicher fängt.
Vom F.C. Hansa Rostock war nun offensiv nicht mehr allzu viel zu sehen; auch, weil der FCM sich im Aufbauspiel weniger unnötige Fehler leistete, die der F.C. Hansa mit seinem gefährlichen Umschaltspiel hätte ausnutzen können. Weil der Club den Ball aber auch nur noch durch eine ganze Eckenserie (37.) und einen Hammann-Freistoß kurz vor dem Pausentee in den Rostocker Strafraum brachte, dort allerdings nicht mehr aussichtsreich zum Abschluss kam, endete eine unterhaltsame erste Hälfte so, wie sie auch begonnen hatte, torlos nämlich.
Der zweite Durchgang begann zunächst mit einem FCM im Vorwärtsgang und dem offenbar festen Vorsatz, das Geschehen diesmal gleich vom Start weg kontrollieren zu wollen; die erste halbe Torgelegenheit verzeichnet aber Rostock: 10 Meter vor dem Strafraum gibt es nach einem eher harmlosen Zweikampf Freistoß; den hohen Ball hat Zingerle dann allerdings sicher. Dann aber wieder der FCM: eine großartige Flanke von Christian Beck erreicht Tobias Schwede, der seinem Gegenspieler links im Strafraum entwischt war, dessen Abschluss aus vollem Lauf allerdings deutlich über das Tor geht (52.). In der Folge lebte das Spiel eher von der Intensität, etlichen Fehlern im Spielaufbau auf beiden Seiten und aufmerksamen Gegenspielern, die das Bemühen der jeweils anderen Mannschaft, spielerisch vor das gegnerische Tor zu kommen, bereits im Ansatz verhindern konnten.
In Spielminute 60 hat dann Tarek Chahed mehr zufällig als geplant die Führung auf dem Fuß: Es gibt eine Flanke von der linken Seite, die irgendwie durchrutscht und unserer Nummer 24 auf den Schlappen fällt. Der Ball kommt zwar aufs Tor, aber auch direkt auf Marcel Schuhen, der ihn mit einem klasse Reflex abwehren und anschließend fangen kann. Drei Minuten später die nächste gute Gelegenheit für die Gastgeber: Stephan Andrist, von Dennis Erdmann mit einem Riesenpass auf rechts steil in Richtung Grundlinie geschickt, läuft durch, kann den Ball in hohem Tempo in die Mitte ablegen und scheitert aber an Leopold Zingerles rechter Pranke, mit der er den flachen Pass ins Zentrum für seine geschlagene Innenverteidigung einfach festhält. Was auch dringend nötig war – in der Mitte hätte Tim Väyrynen (kam nach 59 Minuten für Ziemer in die Partie) blitzeblank gestanden.
Von dieser Szene abgesehen, fiel Hansa vor dem Tor im zweiten Durchgang wirklich wenig ein – was allerdings in gleicher Weise auch für den 1. FC Magdeburg gelten kann. Bis zur 67. Minute und dem ersten richtig schicken Spielzug im zweiten Durchgang, der im Prinzip allerdings von Rostocks Keeper eingeleitet wird: Seinen Abwurf auf Christian Dorda erreicht Nils Butzen zuerst, nach einem gefälligen Doppelpass mit Tarek Chahed kommt der Ball zentral auf den einlaufenden Marius Sowislo. Der bedient Christian Beck, eine Finte später zappelt der Ball im Netz. So geht Umschaltspiel, zumal noch auswärts. Großartiger Treffer und mindestens mal ein halber Assistpunkt an Marcel Schuhen im Rostocker Tor. Die andere Hälfte gehört Sowislo.
Klar, die große Fußballoffenbarung war das bis dahin sicher nicht unbedingt, dennoch lehnt man sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man feststellt, dass die Führung für den Club angesichts der Spielanteile in Halbzeit 2 zu dem Zeitpunkt durchaus in Ordnung ging. Aber: die große Überzeugung, hier heute tatsächlich einen im Anschluss an Becks Treffer vom Gästeblock lautstark geforderten “Auswärtssieg!” einzufahren, wollte sich irgendwie trotzdem nicht so richtig einstellen, dazu schwirrten die letzten Begegnungen noch zu sehr im Hinterkopf. Immerhin: Diesmal hielt die Freude über die Führung, anders als noch auf der Fischerwiese und gegen Regensburg, wenigstens gute 9 Minuten…
Dann aber Spielminute 76 und die eingangs geschilderte Szene. Löhmannsröben gibt den Ball völlig ohne Not zurück (beim Basketball würde man wohl von einem klassischen Turnover sprechen), Väyrynen darf im Mittelfeld ungestört marschieren und spielt den Ball auf, na klar, Stephan Andrist. Dessen satten Abschluss kann Zingerle mit einer tollen Parade nur prallen lassen (kein Vorwurf an der Stelle), der Ball landet aber postwendend wieder bei den Rostockern, diesmal bei Väyrynen. Der zieht ab, trifft aber nicht das Tor, sondern Tobias Schwede zwei Meter vor der Linie. Schiedsrichter Wolfgang Stark pfeift sofort – und zwar Elfmeter für Hansa Rostock wegen angeblichen Handspiels. Im Gästeblock war die Szene bei der Geschwindigkeit und dem Blickwinkel nicht zu erkennen; die Fernsehbilder lassen die Entscheidung, wohlwollend ausgedrückt, deutlich überzogen erscheinen. Nur: wenn der Schiedsrichter pfeift, ist das eben so. Und weil Stark via absichtlichem Handspiel die Verhinderung einer klaren Torchance gesehen haben will, muss er konsequenterweise auch die rote Karte zücken. Was er dann auch tut. Platzverweis für Tobias Schwede, Folgefehler des Schiedsrichters und der Ausgleich vom Punkt durch Stephan Andrist, der sich diese Gelegenheit nicht nehmen ließ, wenn es schon aus dem Spiel heraus nicht klappen wollte. Das 1:1, wenn man das gesamte Spiel betrachtet, sicherlich nicht unverdient, auf diese Weise aber natürlich trotzdem sehr, sehr ärgerlich. Was man allerdings bei aller (berechtigter) Schiedsrichterschelte nicht vergessen sollte: Die Situation, die letztlich zum Elfmeter führt, war einfach auch katastrophal verteidigt.
Mit einem Mann weniger wurde es jetzt aus Magdeburger Sicht natürlich eine Abwehrschlacht. In der 80. Minute kann Rostock das Spiel sogar drehen, verstolpert aber glücklicherweise einen freien Nachschuss nach einer weiteren Rettungstat von Leopold Zingerle. Hansa drückte jetzt, kam aber nicht mehr wirklich gefährlich zum Abschluss; auf der anderen Seite (Julius Düker war inzwischen für Christian Beck, Felix Schiller für Tarek Chahed gekommen) konnten im Prinzip nur noch Standards helfen. So keimte in der 90. Minute noch einmal kurz so etwas wie verzweifelte Hoffnung auf: Düker hatte für seine Farben und technisch stark einen Eckball gewonnen, den Nico Hammann nur noch einmal hoch in den Strafraum bringen muss. Der ruhende Ball wird dann aber halbhoch getreten und bleibt folgerichtig gleich beim ersten Rostocker Abwehrspieler hängen. Marius Sowislo versuchte es in der Nachspielzeit noch einmal aus der Distanz, setzte seinen Schuss aber weit über das Tor. Kurz darauf war Feierabend im Ostseestadion und hieß es, doch eher reichlich enttäuscht als mit dem einen Punkt halbwegs zufrieden die 600 Kilometer weite Heimreise anzutreten.
Unter dem Strich bleibt ein Auswärtsauftritt an der Ostsee, der in der Nachbetrachtung der Saison möglicherweise gleich in mehrfacher Hinsicht in bitterer Erinnerung bleiben könnte: Nicht nur, dass man erneut zwei Punkte liegen ließ, die man, bei aller Kritik am Schiedsrichter, dort nicht liegen lassen muss. Man verlor außerdem mit Tobias Schwede den derzeit vielleicht besten Fußballer der Mannschaft für mindestens das nächste Spiel – im Aufstiegskampf, in dem dem Club gerade so ein wenig die Luft auszugehen scheint, ein richtig herber Verlust.
Mit dem Unentschieden in Rostock holte der 1. FC Magdeburg jetzt sieben Punkte aus den letzten sechs Partien. Möglicherweise zu wenig im Saisonendspurt, wenn man am Ende der Spielzeit ernsthaft den Aufstieg in die 2. Liga feiern will. Das Verrückte ist, dass trotzdem weiterhin alles drin ist, weil sich auch die Konkurrenz nicht so richtig abzusetzen vermag. Das ist irgendwie Fluch und Segen gleichzeitig: ein Schneckenrennen, in dem der Club dringend mal wieder drei Punkte einsammeln sollte, will man nicht möglicherweise am Ende mit ganz leeren Händen dastehen. Insofern rückt jetzt auch das Landespokalspiel am Mittwoch noch einmal ganz anders in den Fokus. Aufstieg und Pokalsieg, Platz 5 und Halbfinal-Aus oder alles dazwischen – die nächsten Wochen entscheiden, ob die Größten der Welt ihrer Chronik ein weiteres triumphales Kapitel hinzufügen können oder ob wir über die Spielzeit 2016/2017 in einigen Jahren tatsächlich im Konjunktiv werden reden müssen. In diesem Sinne: Kämpfen und siegen! Nur noch 5!
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