Ein Satz, ein einziger Satz, hätte genügt.
„Leute, wir haben auch ein paar Fehler gemacht.“
Anstatt sich aber selbst in die „harte Analyse“ der Hinrunde mit einzubeziehen, die in der Entlassung von Stefan Krämer als Cheftrainer mündete, entschied sich die Leitung der 1. FC Magdeburg Spielbetriebs GmbH zum Start in die Winterpause für einen anderen Weg: Via „Magdeburger Volksstimme“ machte man den Ex-Chefcoach zum alleinigen Sündenbock für die sportliche Situation, zensierte mutmaßlich die öffentliche Unmutsbekundung des Kapitäns, verpflichtete mit Claus-Dieter Wollitz eine Person mit einem mindestens mal streitbaren Image als neuen Cheftrainer, erhöhte den Druck auf die selbst zusammengestellte Mannschaft und kommunizierte den Beginn einer „neuen Zeitrechnung“. Puh. Das waren schon einige größere Brocken, mit denen es über die Feiertage und den Jahreswechsel erst einmal klarzukommen galt.
Dementsprechend nachdenklich gestalteten sich die letzten Tage, in denen die Gefühlslage beständig zwischen Unbehagen, „Lasst mich in Ruhe mit Fußball“ und „Ey, eigentlich bin ich ja im Urlaub und sollte vielleicht mal abschalten“ hin- und herpendelte. Aus der Frage: „Was mache ich nun mit den ganzen, neuen Entwicklungen?“ wurde relativ schnell ein „Was machen die ganzen neuen Entwicklungen eigentlich mit mir?“ und beim Nachdenken darüber stellte sich immer stärker so ein dumpf-distanziertes Gefühl ein. Ich merk(t)e, dass ich mir nichts anschauen konnte und kann, was mit dem neuen Trainer zu tun hat, dass mich die Event-Berichterstattung aus dem Trainingslager eher nervt, als dass ich (wie eigentlich sonst) alles begierig aufsauge und dass ich einfach irgendwie traurig und enttäuscht bin.
Kurzum: Das Blog-Jahr 2020 startet mit der Erkenntnis, dass mich die sportliche Leitung mit ihren letzten Aktionen irgendwie verloren hat.
Um dahinter zu kommen, woran genau das liegt, musste ich ein paar Jahre zurückgehen und landete schließlich beim 10. Spieltag der Regionalliga-Saison 2014/2015. Der FCM verlor zuhause mit 1:2 gegen die TSG Neustrelitz, fand sich unter Neu-Trainer Jens Härtel mit elf Punkten auf dem zwölften Tabellenplatz wieder und war vom Ziel, die Liga zu gewinnen, meilenweit entfernt. Als Reaktion auf die deutlich hörbaren „Härtel raus“-Rufe stellte sich Mario Kallnik seinerzeit demonstrativ hinter den vom ihm verpflichteten Trainer und erklärte, dass man sich eher von Spielern als vom Coach trennen würde. Zugegeben, ich hatte während der Neustrelitz-Partie auch wie ein Rohrspatz geschimpft (ohne freilich in die zitierten Sprechchöre einzustimmen) und war skeptisch, ob das wohl so funktionieren würde. Gleichzeitig beeindruckte mich aber die starke Haltung der sportlichen Leitung, die so ganz entgegen der „marktüblichen Mechanismen“ handelte. Der Erfolg gab Kallnik schließlich recht, der Weg führte bis in die 2. Bundesliga. Möglich wurde das, da bin ich mir inzwischen sicher, auch durch ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl im ganzen Verein, das sich zumindest für mich auch aus so einer „Wir sind anders, wir gehen unseren eigenen Weg, wir bleiben ruhig und lassen uns nicht beirren, wir sind Magdeburg“-Mentalität-Haltung speiste. Den Verantwortlichen wäre ich in dieser Zeit in fast jede Schlacht gefolgt.
Dann kam das insgesamt schwierige Zweitliga-Jahr, in dem sich einiges veränderte. Maik Franz wurde vom Assistenten der Geschäftsführung zum Leiter der Lizenzspielerabteilung befördert, Jens Härtel im November entlassen und durch Michael Oenning ersetzt, die Mannschaft in der Winterpause namhaft verstärkt. Genutzt hat das alles nichts: Am Ende stand der sofortige Wiederabstieg, mit neuen Strukturen, dem gleichen Führungspersonal und ohne Trainer fand sich der 1. FC Magdeburg erneut in der 3. Liga wieder. Doof irgendwie, irgendwie aber auch kein Riesenbeinbruch: Es gab da ja noch den Bonus der letzten Jahre, das Wissen, dass der Club finanziell völlig solide dasteht und das Vertrauen, dass mit der entsprechenden Ruhe und einem planvollen Vorgehen sicher auch bald wieder sportlich bessere Zeiten anbrechen werden.
Vor dem Hintergrund dieses Vertrauensvorschusses habe ich mich von dem, was dann im Sommer passierte, tatsächlich auch noch ziemlich gut abgeholt gefühlt: Es wurden relativ bald Transfers verkündet, die vielversprechend aussahen, dazu (!) ein Trainer, der bei vorherigen Stationen bewiesen hatte, dass er erfolgreich arbeiten kann. Es gab die klare Ansage, erstmal 45 Punkte holen, sich kontinuierlich entwickeln und innerhalb der nächsten drei Jahre wieder in die 2. Liga aufsteigen zu wollen. Eine Ansage im Übrigen, die ja dann sogar während der Hinrunde noch unterstrichen wurde.
Und dann, 20 Ligaspiele später, ist Weihnachten, die Mannschaft hat von den mindestens 45 Punkten 27 eingefahren und entgegen der eigenen Verlautbarungen beschließt die sportliche Führung den „Reset“, entlässt den Trainer, kommuniziert neue Ziele und tut dann noch so, als hätten Medien und Umfeld da wohl was falsch verstanden. Gleichzeitig wird eine ähnliche Rhetorik bemüht wie seinerzeit 2014/2015: Die Mannschaft müsse nun gefälligst liefern, wer nicht mitzieht, darf gehen oder wird gegangen, es gibt keine Ausreden mehr. Damals allerdings hat die sportliche Leitung die Entscheidung für einen Trainer und einen entsprechenden Weg verteidigt. Nun verteidigt sie das eigene Handeln und legitimiert es nachträglich: Wir haben uns nichts vorzuwerfen, it’s the Mannschaft, stupid! Und außerdem: Mentalität! Mentalität für alle!
Wie gesagt, ein einziger Satz hätte genügt, um mich da (wenigstens noch halbwegs) mitzunehmen. Es ist zum Heulen.
Wenn Mario Kallnik nun sagt, beim Club hätte eine neue Zeitrechnung begonnen, dann stimmt das schon: Wenn man so will, ist die 1. FC Magdeburg Spielbetriebs GmbH endgültig im Profifußball angekommen. Wir können jetzt auch „hire and fire“, „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ und „Schuld sind im Zweifelsfall die Anderen“. Was unterscheidet uns in diesem ganzen Zirkus jetzt eigentlich noch von den übrigen Akteuren? Von den Werten, die den Club in den vergangenen Jahren nach vorn gebracht haben, ist in meinen Augen jedenfalls nicht mehr allzu viel übrig: Demut, Geduld, Besonnenheit, dieses „Wir, die Größten der Welt, gegen den Rest der Welt“-Gefühl. Möglicherweise ist für diese Werte am Ende des Tages im Profifußball aber auch einfach gar kein Platz.
Und vielleicht ist das auch okay so. Vielleicht braucht es diese Haltung für den maximalen Erfolg in diesem Geschäft, den Mario Kallnik und Maik Franz, wenn ich das richtig verstanden habe, knallhart und bedingungslos anstreben und in dem nur Ergebnisse, Ergebnisse und nochmals Ergebnisse zählen. Und Mentalität. Und letztlich ist es vermutlich an mir, zu entscheiden, ob ich da Bock drauf habe oder der Entfremdung, die sich seit Weihnachten merklich breit zu machen beginnt, Raum geben möchte. Eventuell habe ich auch einfach nur Angst, dass alles schief geht und mein Verein wieder Zeiten entgegensteuert, von denen ich hoffte, dass wir die längst hinter uns gelassen haben. Kann auch sein.
Fakt ist jedenfalls eins: Vor den letzten 18 Spielen der Saison 2019/2020 steht der Club dank Maik Franz und Mario Kallnik nicht nur sportlich am Scheideweg, und das meine ich völlig wertfrei. Wohin die Reise geht, werden wir erst in zwei, drei Monaten wissen. Bis dahin, mindestens bis dahin, bleibt mein Unbehagen. Ich hätte mir irgendwie gewünscht, mit deutlich positiveren Gefühlen ins neue Jahr zu starten.
Beitragsbild: „Am Scheideweg“ von Faldrian. via Flickr | Lizenz: CC-BY-SA Faldrian / jenseitsderfenster.de
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