1. FC Magdeburg – SG Dynamo Dresden, 9. Spieltag, 2:2 (0:2)
„Elbclásico“-Blödsinnslabel, Sinnlos-Schmiereien auf Hauswänden, ein Polizeigroßaufgebot inklusive Wasserwerfern, eine parlamentarische Beobachterin am Gästeeingang – und am Ende war es dann doch einfach nur ein Fußballspiel. Aber was für eins! Keine Frage, die Partie zwischen den Größten der Welt und den Dynamos aus Dresden war großer Sport, und zwar sowohl von den beteiligten Mannschaften als auch von der jeweiligen Anhängerschaft auf den Rängen. Du weißt halt, dass es eine besondere Partie ist, wenn sich beide Kurven schon eine Stunde vor dem Spiel (!) mit Nettigkeiten bedenken. Und wenn man dann als Clubfan so eine Nachspielzeit erlebt, bleibt bis auf den Siegtreffer, der nicht fiel, kaum noch ein Wunsch offen. Dabei sah zunächst alles nach einem souveränen Erfolg für die Gäste aus, bis die zweite Hälfte nicht nur eine erfolgreiche Änderung in der Grundordnung, sondern aufgrund einer überragenden kämpferischen Leistung noch zwei Tore und letztlich das völlig verdiente Unentschieden brachte. Der FCM 2018/2019 ist eben alles andere als langweilig – während Spielverläufe wie diese irgendwie gar nicht so gut fürs Herz sind.
Jens Härtel änderte seine Anfangsformation gegenüber dem Erfolg in Sandhausen lediglich auf einer Position: Für den verletzten Romain Brégerie rückte Christopher Handke in die erste Elf. Daneben starteten dementsprechend Steffen Schäfer und Dennis Erdmann in der Dreierkette; das zentrale Mittelfeld-Duo bildeten abermals Aleksandar Ignjovski und Björn Rother, auf den Außenpositionen begannen Nico Hammann links und Nils Butzen rechts. Marcel Costly, Christian Beck und Philip Türpitz hießen die Akteure in der offensiven Dreierreihe, wobei Costly und Türpitz immer mal wieder die Seiten tauschten. Ach so, und Alexander Brunst hütete das Tor, klar.
Block U hatte in Zusammenarbeit mit Athlet 39 und dem offiziellen Fanshop schicke Trainingsjacken als Choreo-Element produzieren lassen; hinter einem „Sobald Du nach uns rufst, stehen wir bereit“-Spruchband sah das Ganze als Intro mal wieder sehr, sehr geil aus. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es nicht nur eine durchgängig fast 100%ige Mitmachquote, sondern unter anderem auch einheitliche Schals (in allerdings ziemlich unhübschen Farben, aber hey), was ebenfalls ein starkes Bild ergab. Bei aller Rivalität: Respekt, Dynamo. So muss das sein für so eine Partie, der Rahmen war der Größe beider Teams in jedem Fall wirklich angemessen. Und damit rein ins Geschehen.
Ballbesitzsieger
Man hatte sich auf den Rängen gerade erst ordentlich eingegroovt, als es in der 7. Minute schon 1:0 für die Falschen stand: Bei einem Angriff über die linke Seite konnte sich Dresdens Koné dank eines überragenden Laufweges den entscheidenden Vorteil gegen Christopher Handke und Steffen Schäfer verschaffen und dann stark mit dem Außenrist gegen den machtlosen Brunst zum Führungstreffer netzen. Klar, insbesondere Schäfer sieht in der Szene nicht so ganz glücklich aus, aber das war von Koné schon auch sehr, sehr gut gemacht und kaum zu verteidigen. Und für Dresden war das jetzt natürlich die perfekte Spielsituation. Warum? Weil man dem Club nun den Ball überlassen konnte und sicher auch elbaufwärts mitbekommen haben wird, dass die Größten der Welt in dieser Saison so ihre Probleme haben, wenn sie selbst das Spiel machen müssen.
Naja, und so wurde die Partie im weiteren Verlauf eben zu einer ziemlich zähen Angelegenheit. Der FCM bemühte sich zwar nach Kräften, so genannte 100%ige Torchancen sprangen dabei aber nicht heraus. Eine gute Gelegenheit ergab sich nach 11 Minuten, als Marcel Costly sich über links in den Strafraum tanken konnte, seine Ablage in die Mitte letztlich bei Nico Hammann landete und dieser den Ball dann aber nicht scharf aufs Tor brachte. Schade eigentlich. Wenig später fand Hammann mit einem seiner patentierten Diagonalbälle Philip Türpitz, der in die Mitte passte, wo der insgesamt bockstarke Markus Schubert im Dresdner Tor dann aber ohne große Probleme zupacken konnte.
Einen Hammann-Freistoß nach Foul an Butzen und reichlich (aber leider erfolglosem) Pingpong im Dresdner Strafraum später (20. Minute) stand es mit dem zweiten Torschuss der Gäste direkt mal 0:2. Koné und Aosman bekamen von der FCM-Defensive den Raum, sich mit einem Doppelpass an die Strafraumgrenze zu kombinieren. Aosman ist es schließlich, der den Ball sehenswert und aus vollem Lauf in die linke obere Ecke schlenzt und für den nächsten Stimmungsdämpfer auf der Nordtribüne sorgte. War es vorher schon schwierig, gegen defensiv gut organisiere Gäste zurückzukommen, wurde die Aufgabe nun natürlich noch einmal ein Stückchen anspruchsvoller. Aber: Wir sind ja hier beim 1. FC Magdeburg und wenn die Saison bisher eins gezeigt hat, dann, dass diese Mannschaft so schnell nichts aus der Bahn wirft und man sie definitiv nie abschreiben sollte. Dynamo würde das in der zweiten Hälfte noch auf die harte Tour lernen, genau wie diejenigen Stadionbesucher*innen, die der Meinung waren, ihrem Team schon in der 85. Minute im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken zu kehren und lieber zum Ausgang zu laufen, als die Jungs auf dem Rasen weiter zu unterstützen.
Wer jetzt jedenfalls gedacht hätte, die Größten der Welt würden den Kopf in den Sand stecken und sich in ihr Schicksal ergeben, sah sich getäuscht: Erneut war es der auffällige Nico Hammann, der für ein Achtungszeichen sorgte. Einem beherzten Dribbling in Spielminute 25 folgte der Abschluss aus zentraler Position und etwa 25 Metern, der zwar über das Tor ging, aber zur Ecke abgefälscht worden war. Die brachte direkt einen zweiten Versuch von der anderen Seite, führte gegen aufmerksame Dresdner Innenverteidiger aber nicht zum gewünschten Erfolg.
Überhaupt ergaben sich in der ersten Hälfte einige Gelegenheiten nach Standardsituationen (z.B. Hammann, 30., nach einem Einwurf; Türpitz, 31., nach einem Freistoß, Hammann und Costly, 43., mit einer Freistoßvariante), die aber allesamt nicht zwingend waren. Sehr ärgerlich, zumal die phasenweise Belagerung des Dresdner Strafraums in Handball-Manier auch nicht zu bespielbaren Lücken führte. Wie sollte da ein Tor gelingen? Vielleicht ja durch Umschaltsituationen, wie in der 44. Minute, als Nils Butzen einen starken Pass zur Grundlinie spielte und Marcel Costly den Kollegen Schubert im Dresdner Tor mit einer Direktabnahme aus spitzem Winkel testete. Oder kurz vor dem Pausenpfiff, als Dennis Erdmann den Ball in einer Dresdner Vorwärtsbewegung stibitzte und Christian Beck mit einer Butterflanke bedienen konnte. Dessen schwieriger Kopfball in Rücklage geriet zur Bogenlampe und landete sicher beim Dresdner Schlussmann. Kurz darauf war Pause.
Märchenhafte Nachspielzeit
Durchgang 2 begann mit einem Wechsel, Marius Bülter kam für Christopher Handke in die Partie. Die Folge war eine Änderung der Grundordnung, aus dem 3-4-3 wurde nun ein 4-2-3-1: Nico Hammann, Dennis Erdmann, Steffen Schäfer und Nils Butzen bildeten die Viererkette, Ignjovsi und Rother agierten als Doppel-Sechs davor, Bülter spielte im (offensiven) Mittelfeld links, Philip Türpitz zentral und Marcel Costly auf der rechten Seite. Christian Beck gab den klassischen Mittelstürmer. Und was soll man sagen? Mit dieser Umstellung und dem Wechsel kam ordentlich Schwung ins Magdeburger Spiel, während Dynamo nun gewaltig tief stand und versuchte, den Vorsprung zu verteidigen. Was bei einer Zwei-Tore-Führung ja auch vollkommen verständlich ist.
In der 47. Minute hätte für Blau-Weiß direkt der Anschlusstreffer fallen können. Der erneut äußerst spielfreudige Marius Bülter tauchte mittig vor Markus Schubert auf, platzierte seinen Drehschuss dann aber auf eben jenen und konnte seinen Ball daher nicht so richtig gefährlich machen. Es war aber sowas wie ein Fingerzeig für das, was folgen sollte. Nur eine Minute später nämlich hatte Türpitz, der die ungewohnte Position zentral hinter der Spitze nach meinem Dafürhalten sehr ordentlich interpretierte, das 1:2 auf dem Fuß. Einen Hammann-Freistoß (erkennt hier jemand ein Muster?) bekommt er quergelegt, zieht ab und testet den Keeper, der auch bei diesem Duell Sieger blieb.
Spielerisch sah das doch recht ordentlich aus, was der Club nun auf den Rasen brachte. Klar, Dynamo gab der Mannschaft jetzt auch Räume, aber: auch die muss man eben nutzen und genau das taten die Jungs um Kapitän Butzen. Nach einer Stunde dann der Lohn der Mühen: Philip Türpitz holt in guter Position einen Freistoß heraus, den, man ahnt es bereits, Nico Hammann vor das Dresdner Gehäuse tritt. (Un-)Glücklich von Niklas Kreuzer abgefälscht, dafür aber mit ordentlich Spin, wickelte sich der Ball unhaltbar für Markus Schubert auf der richtigen Seite um den linken Pfosten. Anschluss, der Club gut drauf – hier ging noch was!
Das spürte offenbar auch die Kurve und peitschte die eigene Mannschaft weiter nach vorn. In der 66. Minute hatte Koné die große Chance, den Hausherren gleich wieder den Wind aus den Segeln zu nehmen; sein Kopfball nach einem sehenswerten Konter über die linke Seite fand glücklicherweise aber nicht die Rückseite des Netzes, sondern lediglich das Lattenkreuz. Die nächsten guten Gelegenheiten für Dynamo, den Zwei-Tore-Vorsprung wieder herzustellen, ergaben sich dann um die 75. Minute herum: Erst stoppt Dennis Erdmann einen Konterversuch rustikal und gibt seinem Gegenspieler, wie Dennis Erdmann das eben so macht, noch einen Spruch mit. Dann ist bei Alexander Brunst Endstation, der einen Abschluss von der linken Seite parieren kann. Inzwischen hatte Cheftrainer Jens Härtel gewechselt: Für Aleksandar Ignjovski kam Felix Lohkemper in die Partie, Nils Butzen wurde durch Richard Weil ersetzt.
78 Minuten waren gespielt, als es auf der Nordtribüne noch einmal geschäftig wurde. Im unteren Teil des Blockes tauchte der eine oder andere Dynamo-Fetzen auf, der wenig später seiner wahren Bestimmung zugeführt wurde und im bengalischen Feuer sein Ende fand. Möge ein jeder selbst bewerten, was er oder sie von solcherlei Aktionen hält. Dem Spiel der Größten der Welt tat das Ganze jedenfalls keinen Abbruch; während sich der Rauch noch verzog, landete nämlich ein Costly-Kopfball oben auf dem Tornetz und zeigten die Hausherren: „Hier, wir sind noch da und wir wollen schon noch mindestens eine Bude nachlegen!“
Erstmal war aber wieder Dynamo an der Reihe, auch, weil die Angriffsaktionen des Clubs nun nicht mehr ganz so zielstrebig wirkten und auch in der Defensive nicht mehr konsequent zugepackt wurde. Oder zu konsequent, wie in der ersten Minute der Nachspielzeit, als Björn Rother gegen Patrick Möschl im Strafraum auf Kosten eines Fouls das Nachsehen hatte und der insgesamt souveräne Schiedsrichter Manuel Gräfe auf den Punkt zeigte. „Gut, das war’s dann jetzt“ war mein erster Gedanke, während sich Moussa Koné den Ball zurechtlegte und Verantwortung übernahm.
Der Rest geht rückblickend in völler Eskalation unter. Koné hatte zu genau gezielt und den Ball rechts oben am Tor vorbeiplatziert. Weiter 1:2! Ballbesitz Magdeburg! Attacke! Im nächsten Moment ist die Kugel auf dem linken Flügel und da, wo sie berechtigterweise auch vorher schon häufiger war: am Fuß von Marius Bülter, der nach seiner Einwechslung ein weiteres Mal überzeugen konnte. Bülter also mit dem, tja, was eigentlich? Schuss? Pass? in Richtung lange Ecke, wo auch Dennis Erdmann platziert war. Und der ist offenbar nicht nur Feinmechaniker, sondern hat auch den siebenten Sinn, wenn es darum geht, mit dem Rücken zu Tor Flugkurven einzuschätzen. Jedenfalls lässt er den Ball durch seine Beine rutschen, ein verdutzter Dynamo-Spieler hinter ihm tut es ihm gleich und zack! ist die Kugel im Netz. Wahnsinn. Ausgleich. 2:2. Und sowas von ein innerer Vorbeimarsch an den 2.300 Gästefans. Was für ein geiles Gefühl! Düdüm, Dynamo!
Schaut man sich die Highlights dieser Partie und insbesondere das zweite FCM-Tor an, kann man eigentlich gar nicht anders, als sich für Marius Bülter riesig mitzufreuen. Was für eine Geschichte! Und selten habe ich einem Spieler einen Treffer mehr gegönnt.
Es gab dann zwar noch einmal einen Eckball für Blau-Weiß, da der aber keinen Abnehmer fand und wir uns ohnehin schon in der Nachspielzeit befanden, pfiff Manuel Gräfe irgendwann ab und sorgte nach Paderborn gewissermaßen für den zweiten gefühlten Sieg in dieser Saison. Schönes Ding; in Anbetracht beider Halbzeiten geht das Unentschieden schon auch so in Ordnung.
Fazit
Tja, was lässt sich nun aus dieser Partie in die Länderspielpause mitnehmen? Zunächst mal die (wiederholte) Erkenntnis, dass wir da eine ziemlich geile Truppe haben, was die Mentalität betrifft. Gegen ein Team wie Dynamo und in so einem auch emotional wichtigen Duell so zurückzukommen, ist schon stark. Gleichzeit bleibt aber auch festzuhalten, dass das Comeback nötig wurde, weil die Mannschaft es dem Gegner bei beiden Gegentoren ein bisschen zu einfach gemacht hat. Etwas rätselhaft übrigens auch der zum Teil fast schon zaghafte Auftritt in Halbzeit 1. Ey, es ging gegen Dynamo, vor voller Hütte – da wäre es auch vollkommen okay gewesen, gleich zu Beginn mal den einen oder anderen richtig kernigen Zweikampf zu führen, um zu zeigen, wer hier Herr im Haus ist. Wir sind der 1. FC Magdeburg und das darf man gerade in so einem Heimspiel schon auch mal gucken lassen. Richtig gut gefallen hat dagegen das 4-2-3-1 mit Philip Türpitz hinter der Spitze; offenbar war auch Dynamos Trainer Maik Walpurgis davon so überrascht, dass er gar nicht wusste, wie er drauf reagieren soll. Und wer weiß? Vielleicht sehen wir diese Formation in Zukunft ja häufiger, gern dann auch mit Bülter auf der linken Seite von Beginn an.
Hier geht es jetzt auf jeden Fall mit einem guten Gefühl in die Länderspielpause. Klar, die Punkte werden auch danach nicht einfach so auf unser Konto wandern und es bleibt viel zu tun, aber die Serie von derzeit fünf Spielen ohne Niederlage zeigt, dass wir zumindest nicht so einfach zu schlagen sind. Dazu kommen Comeback-Qualitäten und taktische Ideen, die zumindest jetzt gegen Dynamo gut funktioniert haben und schon auch irgendwann zu weiteren Siegen führen werden. In diesem Sinne: Locker bleiben! Wir stehen über dem Strich und es geht immer weiter. Nur der FCM!
Gegnerperspektive:
„Nur der frühe Vochel fängt den Wurm“ (Jokers Radeberg)
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