1. FC Magdeburg – FC Augsburg, DFB-Pokal (1. Runde), 2:0 (0:0)
Es war zwar erst das fünfte Pflichtspiel der Saison, aber so langsam darf einem die Truppe von Trainer Jens Härtel gehörig Angst machen. Im absolut positiven Sinne. Klar, “Pokal” und “FCM”, das passt halt irgendwie. Mit was für einer Selbstverständlichkeit der 1. FC Magdeburg den Bundesligisten aus Augsburg allerdings aus der ersten Runde des DFB-Pokals kegelte, war dann doch ziemlich beeindruckend. Es ist ja nicht nur so, dass am Ende des Abends mit dem 2:0 nach 90 Minuten ein absolut verdientes Ergebnis auf der Anzeigetafel stand. Nein, der FCM war auch noch die bessere Mannschaft und rang den zwei Klassen höher spielenden Gegner mit einer monströsen Lauf- und Energieleistung nieder, in der auch das spielerische Element nicht zu kurz kam. Ein Klassenunterschied? Höchstens bei Einzelaktionen zu erkennen. Doch, das war alles in allem schon sehr, sehr nah dran an einem makellosen Fußballspiel. Wo soll das noch enden?
Jens Härtel schickte seine Mannschaft gegen Augsburg erneut im 3-4-3 in die Partie. Die offensive Dreierreihe bildeten Tobias Schwede, Christian Beck und Philip Türpitz, dahinter agierten Michel Niemeyer (links) und Nils Butzen (rechts) auf den Außenbahnen sowie Björn Rother und Marius Sowislo im zentralen Mittelfeld. In der Dreier-Abwehrkette liefen Felix Schiller links, Nico Hammann zentral und Christopher Handke rechts auf. Die Torhüterposition nahm etwas überraschend Mario Seidel ein, eigentlich die etatmäßige Nummer 3 im Magdeburger Tor und seit dem 10.05.2016 (Sachsenpokal-Finale) ohne jegliche Pflichtspielpraxis. Alexander Brunst, der eigentlich spielen sollte, hatte sich kurzfristig verletzt, Jan Glinker war angeschlagen und so kam der junge Mann aus dem Erzgebirge zu seinem Debüt für die Größten der Welt. Vor 21.641 Zuschauern. Gegen einen Bundesligisten. In der ersten Runde des DFB-Pokals. Damit nicht genug, spielte Seidel diese Partie, als wäre das das normalste der Welt, strahlte völlige Souveränität und Ruhe aus und hielt sein Team mit einigen starken Paraden mehrfach im Spiel. Der verdiente Lohn: Die Auszeichnung zum Spieler des Spiels. “Solche Geschichten schreibt nur der Fußball”, würde Max-Jacob Ost vom Rasenfunk jetzt vermutlich sagen.
Auf der Nordtribüne begann das Spiel angemessen stimmungsvoll mit den aus Duisburg bereits bekannten Schwenkfahnen und ein wenig blau-weißem Rauch. Zu “Ganz Deutschland steht in Deinem Schatten, FCM” betraten die Spieler den Rasen; kaum hatte sich der Rauch verzogen, sah man eine engagierte Magdeburger Mannschaft, die sich keineswegs versteckte, sondern (erfolgreich) versuchte, gegen den Bundesligisten auch spielerisch dagegenzuhalten. Bereits nach 3 Minuten der erste Torschuss: Michel Niemeyer kommt auf seiner linken Seite frei zum Abschluss, scheitert dann aber an Marwin Hitz im Augsburger Tor.
Die erste Gelegenheit für die Gäste ergab sich nach 12 Minuten und deutete bereits an, mit welchen Mitteln der FCA bevorzugt würde zum Abschluss kommen wollen: ein Vertikalpass ins Sturmzentrum erreichte Finnbogason, der allerdings nach rechts verzog und außerdem im Abseits stand. Auch wenn der FCM diese Situationen das gesamte Spiel über eigentlich ganz gut verteidigte, blitzte bei solcherlei Abspielen und Laufwegen durchaus die individuelle Augsburger Klasse auf. Trotzdem verfestigte sich der Eindruck aus der Anfangsphase: Der FCM stand nicht nur hinten drin, sondern spielte fleißig mit und hatte tatsächlich mehr von der Partie.
Nach einer guten Viertelstunde betrat dann auch die aktive Augsburger Fanszene den Block; bis dato hatte sich erst eine verhältnismäßig kleine Gruppe im Gästebereich des Heinz-Krügel-Stadions eingefunden. Natürlich hatte es der Augsburger Mob gegen eine gute aufgelegte Heimseite ordentlich schwer, trotzdem gelang es in den wenigen Pausen, die sich die Nordtribüne über die 90 Minuten gönnte, immer mal wieder, sich auch aus Richtung der Blöcke 13 und vor allem 14 ein wenig Gehör zu verschaffen und auch optisch mit fünf, sechs größeren Schwenkfahnen ein paar Akzente zu setzen. Für eine derart Auswärtsfan-unfreundliche Anstoßzeit durchaus nicht selbstverständlich, das alles.
Aber zurück zum Geschehen auf dem Rasen, das weiterhin der FCM bestimmte. In der 17. Minute ist es Björn Rother, der an der Grundlinie stark einen Ball erkämpft und von rechts flach in die Mitte spielt, wo er allerdings leider keinen Abnehmer findet. Nach ungefähr 20 Minuten setzt sich der Club einfach mal am Augsburger Strafraum fest und bringt auch ein paar Bälle ins Zentrum, allerdings (noch) nicht gefährlich aufs Tor. Dann auf der anderen Seite mal Augsburg: Jonathan Schmid spielt Felix Schiller auf der rechten Seite vom Halbfeld bis in den Strafraum schwindlig, den Abschlussversuch lässt Mario Seidel zur Ecke prallen. Die bringt zwar nichts ein, dafür aber einen schnellen Konter über Michel Niemeyer. In dieser Phase durfte man wohl völlig berechtigt von einem richtig geilen Fußballspiel sprechen. Nur die Tore fehlten.
Ein solches wäre dann um ein Haar nach 25 Minuten gefallen – allerdings auf der aus Magdeburger Sicht falschen Seite. Augsburg bemühte sich jetzt, das Spiel zunächst erst einmal zu beruhigen und die eigenen technischen Fähigkeiten besser auszuspielen. Mit einem schönen Diagonalpass gelangt der Ball schließlich an die rechte Strafraumkante und zu Alfred Finnbogason. Der hat eigentlich Platz, wird im letzten Moment aber vom heraneilenden Felix Schiller noch gestört und scheitert schließlich am glänzend aufgelegten Seidel. Aus Augsburger Perspektive musste man wahnsinnig werden: von erstaunlich vielen eigenen Ungenauigkeiten mal abgesehen, war im letzten Moment, wenn man eigentlich aussichtsreich in Position gelangt war, immer irgendwo noch ein Magdeburger Bein dazwischen.
Aus der Heimperspektive stellte sich die ganze Sache natürlich etwas anders dar: Der FCM kämpfte bis zum Umfallen, man half sich gegenseitig aus, ging aggressiv auf die Bälle, schaltete immer wieder schnell um und machte Meter um Meter – Magdeburger Tugenden, die eigentlich ja bekannt sind, die Gäste aber trotzdem irgendwie beeindruckten. Derweil mittendrin: ein erneut überragender Philip Türpitz, der gefühlt an jeder blau-weißen Offensivaktion beteiligt war. So auch nach einer guten halben Stunde, als Nico Hammann mit dem Ball am Fuß zentral aus der Abwehr bis knapp an den Mittelkreis marschiert und einen sensationellen Pass rechts auf den Ex-Chemnitzer spielt. Der hatte aber mal ganz genau gepasst. Türpitz nimmt die Kugel mit, spielt flach in die Mitte und findet dort anstelle eines Mitspielers nur ein Augsburger Abwehrbein, das die Hereingabe dann aber immerhin noch zur Ecke klärt.
Auch die bis dato vielleicht beste Torchance hatte in der 45. Minute ihren Ausgangspunkt bei Türpitz. Seine bockstarke Flanke von links landet auf dem Kopf von Marius Sowislo, der den Ball auf Christian Beck weiterleitet. Der spitzelt aufs Tor, Hitz kann den Abschluss dann aber unter sich begraben. Die Einschläge kamen deutlich näher und man muss es so klar sagen: Der Führungstreffer wäre zu diesem Zeitpunkt absolut verdient gewesen. Kurz darauf war Halbzeit; mit viel Applaus wurde die Mannschaft in die Kabine geschickt.
Die Frage war jetzt so ein bisschen: Wie würde Augsburg reagieren und vor allem: wie lange würde der 1. FC Magdeburg diese Intensität wohl durchhalten können? Die Antwort auf die letzte Frage war ganz simpel: nahezu 90 Minuten lang. Tja, und so nahm der Pokal-Wahnsinn dann eben seinen Lauf. Das Erstaunliche war: Für einen Erstligisten fiel den Augsburgern spielerisch tatsächlich recht wenig ein; wirklich gefährlich wurde es eher, wenn der Club mal ungenau spielte. So zum Beispiel nach 52 Minuten, als Tobias Schwede ein Querpass misslang und Marius Sowislo in der Folge am Mittelkreis taktisch foulen musste. Klare und berechtigte gelbe Karte und Freistoß für Augsburg, an dessen Ende erneut Mario Seidel steht, der beim Augsburger Abschluss schnell in die rechte Ecke abgetaucht war und die Situation für seine Farben retten konnte. Bereits kurz nach Wiederanpfiff hatte er einen viel versprechenden Angriff über Marcel Heller stark entschärft. War der Name “Seidel” vorher nur Insidern ein Begriff, kannte man ihn spätestens jetzt auch in Augsburg.
Beim FCM ging es indessen munter weiter in Richtung Marwin Hitz. Einen langen Freistoß von der linken Seite hatte der Augsburger Keeper nach 48 Minuten erst im Nachfassen; bei einer starken Türpitz-Hereingabe nach 53 Minuten wäre Hitz wohl machtlos gewesen, hätte sein Verteidiger nicht knapp über, sondern aus Versehen direkt auf das Tor geklärt. Schade eigentlich. Zwischen der 59. und der 66. Minute dann eine ganze Magdeburger Standardserie; Augsburg kam nun kaum noch mal selbst über die Mittellinie: Erst ist es Felix Schiller, dessen Kopfball aufs Tor nach einer Ecke zu einer weiteren Ecke geklärt wird. Christian Beck kommt im Strafraum zu Fall, bekommt einen möglichen Elfmeterpfiff aber nicht. 64 Minuten sind rum, als Augsburg den Gastgebern völlig ohne Not einen weiteren Eckstoß schenkt. Auch der wird gefährlich, kann aber letztlich samt Nachschuss und Folge-Eckball von Augsburg geklärt werden.
Und wie das dann immer so ist, wenn man sich selbst nicht belohnt, kommt irgendwann auch der Gegner mal zu einer guten Gelegenheit. So musste sich Mario Seidel nach 69 Minuten schon gewaltig lang machen, um einen Schuss von Jonathan Schmid mit den Fingerspitzen noch auf die Latte zu lenken. Immerhin: es war das letzte Mal, dass Seidel ernsthaft eingreifen musste, im weiteren Verlauf brachte der Bundesligist aus Augsburg zwar noch den einen oder anderen Ball in den Strafraum, allerdings keinen mehr nennenswert aufs Magdeburger Tor.
Nach 78 Minuten war der Arbeitstag für Kapitän Sowislo beendet, der abermals eine starke Partie zeigte. Für ihn kam Dennis Erdmann ins Spiel. Wohl dem, der solche Alternativen auf der Bank hat… allerdings wäre Erdmann fast zur tragischen Figur geworden, geriet doch ein Rückpass in Minute 86 furchtbar zu kurz und brauchte es schon vereinte Abwehrkräfte, um daraus nicht das vielleicht entscheidende Gegentor entstehen zu lassen. Das fiel dafür aber im Prinzip im Gegenzug vor der daraufhin regelrecht explodierenden Nordtribüne: langer Freistoß von rechts, der Ball fällt schließlich, von Augsburg im Prinzip gar nicht verteidigt, Dennis Erdmann vor die Füße. Der versucht sich an einem eingesprungenen “Schiller-in-Offenbach”, klärt den Ball dabei irgendwie aber gleichzeitig artistisch selbst. Hinter ihm steht allerdings Christian Beck, der den Abpraller mit Schmackes in die Maschen jagt. Was für ein Moment und: ausgerechnet Beck! Selten hatte sich ein Spieler ein Tor wohl so erarbeitet, und zwar nicht nur in diesem Spiel, sondern eigentlich ja auch schon in denen davor. Es sei ihm absolut gegönnt, während man in Augsburg wohl nicht glauben konnte, dass sich Geschichte tatsächlich wiederholt.
Mist! Nicht schon wieder dieser Beck! ???? #FCMFCA #FCA #DFB Pokal
— Vincent Rollins (@VK_FCA1907) 13. August 2017
Nach den obligatorischen und äußerst ausgelassenen Feierlichkeiten auf den Tribünen ging der Blick natürlich sofort hoch zur Anzeigetafel: Drei Minuten waren regulär noch zu gehen, drei gab der Unparteiische zusätzlich oben drauf. Für ekstatische Entspannung sorgte allerdings in der ersten Minute der Nachspielzeit Tobias Schwede. Der Augsburger Keeper war bei einem Eckball für die Gäste mit nach vorn gegangen, das Tor vor der Nordtribüne dementsprechend leer. Die Ecke kommt hoch rein, wird aber ebenso hoch wieder herausgeköpft. Schwede leitet auf Felix Lohkemper (ab der 85. Minute für Philip Türpitz im Spiel) weiter, der zwar vom Verteidiger noch angelaufen wird, aber aus gut und gerne 60 Metern einfach mal abzieht. “Der passt, der passt!” hibbelte es links und rechts auf der Nordtribüne, bevor der Ball doch dann tatsächlich an den Pfosten klatscht. Glücklicherweise war Schwede aber mitgelaufen, nimmt Maß und nagelt ihn satt zur Entscheidung ins Tor. 2:0, “Die Nummer Eins der Welt sind wir!”, Abpfiff – der 1. FC Magdeburg hatte es wieder getan.
Es bleibt dabei: Wer ‘Pokal’ sagt, meint den FCM. Und glaubt man der Statistik, ist die Mannschaft mit diesem Erstrundensieg auch dem Aufstieg schon ein gewaltiges Stück näher gekommen, denn der tritt bekanntermaßen ja immer dann ein, wenn wir den FC Augsburg im DFB-Pokal schlagen. Wenn jetzt Nils Butzen im Saisonverlauf auch noch trifft, ist das Ding eigentlich sicher… Magdeburger Größenwahn aber mal beiseite, bleibt unter dem Strich ein in allen Belangen beeindruckender Auftritt des 1. FC Magdeburg und ein auch in dieser Höhe verdienter Erfolg. Wenn man diese Leistung konservieren und in den weiteren Punktspielen immer mal wieder abrufen kann, ist, da lege ich mich jetzt mal fest, in dieser Saison einiges möglich. Wie viel, zeigt sich möglicherweise schon am Samstag, wenn es gilt, in Münster wieder vom Pokal- in den Ligamodus umzuschalten. Wenn das aber einem Team ohne große Reibungsverluste zuzutrauen ist, dann dem von Trainer Jens Härtel. Die Nummer Eins der Welt sind schließlich wir. Isso.
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