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Die Party ist vorbei

Kater

Was war das für ein Rausch, was für ein Abriss, was für eine unfassbar geile Party … damals, 2015 bis 2018, als der 1. FC Magdeburg zunächst aus den Niederungen des Amateurfußballs emporstieg, anschließend drei Jahre lang die 3. Liga rockte, 2018 mit 85 (!) erspielten Punkten und einem Torverhältnis von 70:32 gar den ersten Platz errang und letztlich souverän in die 2. Bundesliga marschierte. Der FCM war so etwas wie der kultige, leicht schmuddlige, trotzdem aber coole Geheimtipp-Nachtclub: immer Action, (fast) immer eine gute Zeit, auf jeden Fall immer was los – bis der Geheimtipp plötzlich kein Geheimtipp mehr war, der Hype zunahm und irgendwie jeder hinging, weil das jetzt hip war und das eben alle so machten.

Aus dem Kult-Club war ein erfolgreicher Club geworden, so ist der Lauf der Dinge. Und weil das Rampenlicht jetzt ein wenig heller wurde, die Aufmerksamkeit größer und der Erfolg ja eh da war, ging das nicht mehr so gut mit dem leicht schmuddligen, trotzdem aber coolen Laden. Man wollte sich jetzt mit den richtig großen, etablierten, auf Hochglanz polierten, weitgehend gesichtslosen Einheitsbrei-Zappelbuden messen. Im Konzert der Großen mitspielen. Eine Marke werden. Gleichzeitig sollte die Party aber natürlich weitergehen. Lametta für alle!

Also wurde zunächst der Praktikant mit in die Geschäftsführung eingebunden. Stallgeruch, Netzwerke, Potenzial, Wohlfühlgeschichte, trallala. Anschließend entließ der Geschäftsführer 2018 den beliebten DJ, der die Leute ab 2014 zuverlässig zum Tanzen gebracht hatte. Zugegeben, einen etwas eigenwilligen Stil hatte er schon immer gehabt und sicher bei den letzten Feiern kein ganz so glückliches Händchen mehr bewiesen. Der Erfolg war ausgeblieben, man war unzufrieden und wurde ungeduldig. Vielleicht musste wirklich mal neuer Wind her, ein Impuls von außen kommen. Eventuell passte der Kult-DJ mit seinen Eigenarten aber auch nicht mehr ganz so gut zum neuen Weg. Möglicherweise brauchte so eine zukünftige, neue Hochglanzmarke aber auch einfach endlich mal den Geruch der großen, weiten Welt.

Also kam ein neuer DJ, der schon ein paar Clubs gesehen hatte. Kleinere, aber eben auch die großen, national wie international. Es kamen auch noch ein paar neue Angestellte dazu, die die Qualität innerhalb der Belegschaft insgesamt erhöhten. Die war nämlich deutlich fehleingeschätzt worden im Geschäftsleitungsbüro, was auch der neue Resident DJ schnell erkannte, aber noch das Beste draus machte und immerhin nochmal für ein paar Club-Highlights sorgte. Trotzdem reichte es nicht. Der 1. FC Magdeburg verabschiedete sich nach nur einer Spielzeit wieder aus dem Konzert der Größeren. Der DJ packte seine Plattentaschen ein und zog weiter, in Griechenland wartete schon der nächste Gig. Und in Magdeburg begann der Kater, wenn auch mit etwas Verzögerung.

Zunächst hatte der Praktikant noch eine große, wilde Schaumparty (Tequila 99 ct, der halbe Liter 1,20 €) versprochen. Es musste halt mal wieder was Innovatives her für den kultigen Club mit den hohen Ansprüchen. Ein neuer, aufregender Mann an den Plattentellern war schnell gefunden, der Stil: Wild, chaotisch, überaus sympathisch. Und Rock ’n Roll. Das passte gut zum Laden, der der Meute nach einer insgesamt enttäuschenden Saison wieder etwas bieten wollte. Der Party-Zug wurde mit drei Zündstufen ausgestattet und der Crowd der folgende Plan schmackhaft gemacht: nach der Schaumparty wollte man entspannt brunchen, um abends dann wieder hart feiern zu können und den Tag mit einem Meer aus Pyro, an die Wand geworfenen Gläsern, vielen Schulterklopfern und der Rückkehr in die Riege der größeren Clubs zu feiern. So weit, so einfach. Da konnte doch gar nichts schief gehen.

Allerdings hob die Schaumparty nie so richtig ab. Man hatte wohl für die Soundanlage, mit deren Hilfe das Haus zum Kochen gebracht werden sollte, nicht das richtige Zubehör gekauft. Irgendwas passte da nicht zusammen und mehrere Schrauben waren auch übrig. Also entschied sich die Geschäftsführung für das einzig Naheliegende: Man wechselte den DJ, behielt aber Zubehör und Technik. Und kaufte jemanden ein, der in der Provinz zuletzt recht erfolgreich aufgelegt hatte. Nur, dass dort eben ganz andere Musik gespielt wird als in der Festungsstadt. Schnell noch ein paar Flyer gedruckt, denen nun zu entnehmen war, dass man durchaus auch tagsüber hart feiern konnte (niemand mag Brunch) und zack! ging es ab ins Jahr 2020.

Der kultige Club von einst war da längst zu einem dieser „ungefähren“ Läden geworden. Man wusste ungefähr, wie es da früher mal war und hoffte jedes Mal auf eine geile Party. Wenn man hinging, erwischte man aber überwiegend maue Abende. Da half es auch nichts, dass der ehemalige Praktikant und der Geschäftsführer nicht müde wurden, zu betonen, wie geil doch das Interieur inzwischen sei und dass das Personal nun endlich mal richtig gescheucht werden würde. Das würde schon richtig gut werden und wer das nicht verstand, hatte einfach keine Ahnung von Clubkultur. Dabei war es doch immer noch der gleiche Schuppen, ungefähr jedenfalls. Wofür der Laden stand, war allerdings nicht mehr ganz so klar.

Dem neuen Zeremonienmeister aus Cottbus gelang es jedenfalls auch nicht, die richtigen Töne zu treffen. Schlimmer noch: Der Club drohte nun vollständig in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Dazu kamen Corona, schwierige Diskussionen mit dem Deutschen Feier-Verband, laue Parties ohne Zuschauer*innen, die dafür aber in die Wohnzimmer übertragen wurden und insgesamt eine ziemliche Katerstimmung. Der ehemalige Praktikant nahm seinen Hut, der DJ ebenso, die letzten Veranstaltungen waren dann eher so betreutes „Mit dem Fuß wippen“ als wilder Abriss. Was aber okay war, weil wenigstens das Überleben des Clubs gesichert werden konnte.

Der Mann für die neue Spielzeit wurde der, der bereits die letzten Playlists erstellt hatte und mehr oder weniger durchlaufen ließ, mit Klassikern „von früher“ und dem einen oder anderen neuen Song, der aber irgendwie noch nicht so richtig ausgereift war. Besser wurde es allerdings nicht, auch wenn der Geschäftsführer kurz vor Toreschluss noch mal schnell loslief und zwei Singles auslieh, von denen allerdings nur eine wirklich neu war und direkt zum Einsatz kam. Die andere lief schon ein paar Mal in Magdeburg, aber das ist schon länger her.

Wer heute auf den Laden blickt, sieht einen Club, der hilflos vor sich hintaumelt und es einfach nicht mehr hinbekommt, sich fünf Jahre nach dem ersten, richtig großen Erfolg der Nachwendezeit noch einmal neu zu erfinden. Schlimmer noch: Auch bei den Stammgästen, die noch kommen, aber immer weniger werden, schwinden die Hoffnung und das Vertrauen, dass das mit diesem Führungspersonal noch mal was wird. Drin, also im Club selbst, scheint man sich derweil offenbar nur verwundert die Augen zu reiben und zu fragen: „Nanu, wo sind denn alle? Ist doch so schön hier“.

Die Zeichen der Zeit scheint niemand erkennen zu wollen. Die Party ist vorbei, länger schon, und es ist dringend geboten, mal feucht durchzuwischen und dann langsam und grundlegend wieder anzufangen. Und zwar mit neuen Leuten und neuen Impulsen, die gern von außen kommen dürfen.

Nur, wie sollen wir das anfangen? Wie soll das gelingen? In den Strukturen, die wir Clubfans, die Mitglieder sind, uns ja in gewisser Weise selbst gegeben haben, wird das nicht funktionieren, davon bin ich inzwischen überzeugt. Ist halt bitter, wenn der designierte Vorgänger der Einzige im Verein zu sein scheint, der die Nummern potentieller Nachfolger im Telefonbuch hat …

Die Alternative zu einem großen Umbruch, wie auch immer der zustande kommen soll, heißt wohl wieder 25 Jahre Dorfdisko. Und das kann doch keiner wollen.

Oder?

 

Beitragsbild: „Trauma“ von Gauthier Delecroix via Flickr | Lizenz: CC BY 2.0

5 Kommentare

  1. Pingback: Wo wir stehen - nurderfcm.de

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