Neun Punktspiel-Tore hat der 1. FC Magdeburg bisher im Jahr 2016 geschossen. In 11 Spielen. Das entspricht 0,81 Treffern pro Partie und ist ziemlich schlecht. Zum Vergleich: In 2015 reichte es zu 31 Drittliga-Toren in 21 Spielen, was zu einer Quote von 1,48 Treffern pro Partie führt. In der Hinrunde dauerte es bis zum 8. Spieltag, ehe die Größten der Welt erstmals leer ausgingen und gab es insgesamt nur vier Spiele, in denen kein eigener Treffer gelang. Im aktuellen Jahr konnte man lediglich in vier von elf Spielen einen Torerfolg bejubeln und wartet man nun schon seit 3 Begegnungen auf ein Erfolgserlebnis. Die personifizierte und medial gern ins Feld geführte Torflaute ist dabei Christian Beck, für den im Jahr 2016 erst ein einziger Treffer zu Buche steht, und zwar beim 4:1 gegen den F.C. Hansa Rostock. (Übrigens: würde man Rostock als ‘Anomalie’ rausrechnen, beträgt die Torquote der Mannschaft 0,5). Die Abschlussschwäche nur auf unseren Top-Torjäger zu schieben, greift meines Erachtens aber zu kurz. Der Versuch einer (zugegebenermaßen stark vereinfachten) Analyse:
Meine These lautet, dass das Problem nicht (nur) bei Christian Beck, sondern eher beim praktizierten Spielsystem bzw. genauer: bei den derzeit für das Spielsystem verfügbaren Spielern bzw. noch genauer: bei der noch nicht ganz bruchlos erfolgten Einbindung von Neuzugang Sebastian Ernst liegt. Anlass für diese gewagte Behauptung? Die ganz einfache Beobachtung, dass die Größten der Welt kaum noch das Tor treffen, seitdem Ernst beim 1. FC Magdeburg in der Startelf steht. Was seit seinem Wechsel an die Elbe in jedem einzelnen Punktspiel der Fall war, aber keinesfalls als Kritik am Neuzugang verstanden werden soll. Immerhin erzielt der Ex-Hannoveraner bereits 3 Tore, also ⅓ der bisherigen Treffer in 2016, und spielt überwiegend ziemlich guten Fußball. Hinzu kommt, dass Lars Fuchs im aktuellen Jahr bis zu seiner Verletzung kaum noch zum Einsatz kam, was eben auch dem neuen Mann im offensiven Mittelfeld geschuldet ist und zusätzlich zu weniger Toren führt. Schauen wir uns die ganze Sache also mal etwas genauer an (Grundlage sind die Angaben zur taktischen Formation auf transfermarkt.de):
Dass Jens Härtel eine 4-2-3-1-Grundordnung bevorzugt, ist inzwischen ja kein großes Geheimnis mehr; untermauern lässt sich das auch durch einen Blick auf die bisher praktizierten Spielsysteme. In der aktuellen Spielzeit lief der 1. FC Magdeburg 21 Mal in dieser Formation auf, in der Aufstiegssaison mit 30 Begegnungen wurde das System ebenfalls in 21 Partien gespielt und war spätestens nach dem 6:0 in Bautzen quasi Standard. Im Unterschied zur letzten Saison, in der die zentrale Rolle hinter Christian Beck überwiegend von Marius Sowislo ausgefüllt wurde (18 Mal nämlich), während Lars Fuchs auf dem (linken) Flügel wirbelte (eine Kombination, die es in 21 Begegnungen neun Mal gab), begann die Spielzeit 2015/2016 mit einem zentral hinter der Spitze agierenden Fuchs, während sich Sowislo vorzugsweise im defensiven Mittelfeld wiederfand (so geschehen in sechs von zwölf Partien 2015). Beim Unentschieden gegen Cottbus gab es außerdem wieder die gewohnte Kombination mit Sowislo zentral offensiv und Fuchs auf dem Flügel, nur dass er diesmal auf der rechten Seite startete. Aber mal unabhängig davon, wer jetzt wo genau im Offensivverbund spielt – worauf ich hinaus will, ist folgendes: Bis zur Verpflichtung von Sebastian Ernst gab es im Offensivbereich eine gewisse Kontinuität, die, auch das ist jetzt nicht unbedingt die hohe Kunst der Fußball-Taktik, für Abläufe und insbesondere für Stürmer wie Christian Beck, die auf abgestimmte Laufwege und damit die richtigen Bälle zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle angewiesen sind, ziemlich wichtig ist. Das Ergebnis ist – siehe oben – bekannt: 31 Drittliga-Tore bis zum Jahreswechsel, 15 davon vom Mann mit der Rückennummer 11.
Mit der Verpflichtung und dem umgehenden Einbau von Ernst änderte sich nun zwar das System nicht wesentlich, dafür aber das Personal, das insbesondere die Position hinter den Spitzen einnahm. Lars Fuchs rotierte auf die Bank, auf der zentralen offensiven Position im Mittelfeld begannen abwechselnd Marius Sowislo, Niklas Brandt, wieder Marius Sowislo (in Chemnitz und gegen Köln), Tarek Chahed, Lars Fuchs (allerdings bei der großen Rotation in Aalen), wieder Tarek Chahed, Sebastian Ernst und zuletzt gegen Aue erneut Marius Sowislo (in Osnabrück und gegen Kiel spielte der Club jeweils ein flaches 5-4-1, jedenfalls laut transfermarkt.de). Im kreativen Bereich ist das dann so ungefähr das Gegenteil von Kontinuität und vielleicht auch eine Erklärung dafür, dass Christian Beck im Moment eben Schwierigkeiten hat, das Tor zu treffen. Stichworte hier: Lauf- und Passwege, die eingeübt und verinnerlicht werden müssen. Der (an den Statistiken und Grundordnungen ablesbare) Umstand der für Beck recht häufig wechselnden ‚Zuspielerkonstellationen‘ legt nun verschiedene Vermutungen und Konsequenzen nahe:
Zum einen scheint Jens Härtel seinen Wunschspieler auf der zentralen Position hinter Beck noch nicht gefunden zu haben, was daran liegen könnte, dass er ihn schlicht und ergreifend nicht (oder nicht mehr) im Kader hat. Die häufigen Wechsel auf dieser Position im bisherigen Kalenderjahr lassen diesen Schluss jedenfalls nicht ganz abwegig erscheinen. Auch verschiedene Aussagen auf die Frage, wie es denn zur kommenden Spielzeit mit einem Ersatz für den inzwischen zurückgetretenen ‚Fuchser‘ aussieht, verweisen darauf, dass man (natürlich) intensiv auf der Suche nach einem kreativen Geist im offensiven Mittelfeld ist – eine Suche, die beim Club allerdings gefühlt ja zu jeder neuen Saison irgendwie ansteht und durch den Aufstieg scheinbar nicht leichter geworden ist.
Zum anderen wirkt es so, als würde das, was in der Regionalliga mit Marius Sowislo noch hervorragend funktionierte, in der 3. Liga nun nicht mehr so ohne weiteres klappen, was sich an den Ergebnissen und zum Teil auch an der Spielweise der Mannschaft ablesen lässt. Übernahm der Kapitän den offensiven Part im Mittelfeld, holte der Club 8 von 21 möglichen Punkten. Mit Lars Fuchs zentral waren es 15 von 24. Der Fuchs-Effekt in Toren (gemessen an „Beck pro Fuchs zentral“): 1, also 8 Beck-Tore, wenn Lars Fuchs im 4-2-3-1 offensiv in der Mitte spielte. Hieß der Taktgeber vorn Marius Sowislo (insgesamt 7x), erzielte Christian Beck zwei Tore (beide gegen Cottbus, einen davon als Elfmeter). Was wiederum ein Gefühl untermauert, das sich mir als regelmäßigem Beobachter schon häufiger aufgedrängt hat: dass Marius Sowislo in der 3. Liga vor der Abwehr um einiges besser aufgehoben ist als in der deutlich offensiveren Rolle hinter Christian Beck.
Dem wiederum ist es offensichtlich noch nicht so gut gelungen, sich auf den neuen Mitspieler (also Sebastian Ernst) und die sich dadurch änderende Konstellation im Angriff einzustellen; ein Aspekt, der sorgenvoll stimmen kann, dann allerdings mit Blick auf die restlichen Spiele, in denen es wohl nicht mehr um allzu viel gehen wird, nicht ganz so problematisch erscheint. Wenn nämlich das Kennenlernen und Einstudieren neuer Laufwege und Bewegungsmuster der Knackpunkt ist, ist doch der Zeitpunkt jetzt, wo man das relativ gefahrlos unter Wettbewerbsbedingungen tun kann, fast schon ideal. Und auch wenn ich mich damit jetzt vermutlich nicht allzu beliebt mache, ist das vielleicht auch der Unterschied zwischen einem Weltklasse-Stürmer und einem guten Drittliga-Torjäger: Der eine trifft kontinuierlich und weitgehend unabhängig von der Zusammenstellung der Mannschaft, der andere braucht entweder die gewohnten Akteure oder eben Zeit, das eigene Spiel den geänderten Umständen anzupassen. Gelingt Christian Beck das, und das wird es bei diesem Trainer und der Vertragssituation der ihn vorn umgebenden Akteure, dann wird er irgendwann auch wieder seine Buden machen – seine Qualitäten vor dem gegnerischen Kasten sind ja vollkommen unbestritten.
Sofern die bisherige Argumentation einigermaßen trägt, wird nun aus meiner Sicht auch erklärbar, warum der Club sich nach der Winterpause Stück für Stück aus dem Aufstiegsrennen verabschiedet hat: Vermutlich lag das weniger an der berühmten Puste, die der Mannschaft nach dem Klassenerhalt ausgegangen sei (was ja aber trotzdem auch ein Faktor sein kann, Stichwort ‘Cottbus’), sondern vielmehr an Veränderungen am Kader, die auch schon mit Blick auf die neue Spielzeit vorgenommen wurden. Und ich lehne mich mal ganz weit aus dem Fenster und behaupte, dass das den Verantwortlichen jederzeit sehr bewusst war. Gelingt es jetzt noch, einen Offensivmann zu verpflichten, der ähnliche Qualitäten aufweist wie ‘Fuchser’ und sich schnell in die zentrale Position hinter Beck einfindet, dürfte das Gerüst des Teams, zumindest, was die Offensive betrifft, in der kommenden Spielzeit schon um einiges stabiler sein. Kurzum: Die anstehenden Neuverpflichtung für den Kaderplatz von Lars Fuchs könnte zum Königstransfer werden und in erheblichem Maße mit darüber entscheiden, wie lange wir in der kommenden Saison werden zittern müssen bzw. wie schnell wir wieder kontinuierlich jubeln dürfen.
Mir ist natürlich völlig klar, dass die hier angestellten Überlegungen vieles stark vereinfachen, durchaus auch noch andere Spieler im Kader in der Lage sind, Tore zu erzielen, wir schon auch zu unseren Chancen kommen und so etwas wie die Aufstellung des Gegners, die Form der einzelnen Akteure und gewisse ‘Gewöhnungseffekte’ der Liga an das Spiel des 1. FC Magdeburg nicht mit berücksichtigt wurden. Genauso ist es aus meiner Sicht aber eben verkürzt, und damit wären wir dann wieder am Anfang der Geschichte, das derzeitige Torproblem (medial) nur auf die Formel “No Beck – No Party” herunterbrechen zu wollen.
Beitragsbild: „Fussballtor“ (geändert) von Jean Pierre Hintze, Lizenz: CC BY-SA 2.0.
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