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Buchbesprechung: „Capo“

Capo

Dieses Buch ist eine Zumutung. Zumindest, was das Cover betrifft. Seit Wochen liegt das 368 Seiten starke Werk nun schon auf meinem Tisch, vorn drauf ein Foto von Dynamos Lehmann. Das sind Bilder, die niemand sehen will, jedenfalls nicht in einem Clubfan-Haushalt. Was die Sache noch schlimmer macht, ist der Umstand, dass mich besagter Stefan „Lehmi“ Lehmann, je nachdem, aus welcher Perspektive ich das Buch anschaue, stumm anzubrüllen scheint: „Los, Du F*tze, besprich‘ das Teil jetzt endlich!“ Beste Voraussetzungen für eine Rezension. Dann wollen wir mal.

Zugegeben, ich hatte Berührungsängste. Vielleicht so ähnlich wie Jente Knibbiche, als er vom Verleger mit der Frage konfrontiert wurde, ob er nicht die Biografie von Lehmi schreiben wollen würde. Was diese Anfrage mit Jente machte, kann man in der Einleitung zu „Capo“ gut nachlesen. Das allein schon ist ja eigentlich ein unerhörter Vorgang: Hier der ehemalige Vorsänger der Ultras Dynamo, der irgendwie über sein Leben sprechen möchte, dort der Block-U-ler, der es aufschreiben soll. Und es dann auch tut.

Was ist mit den alten Feindschaften passiert? Seit wann machen Dynamo und der FCM gemeinsame Sache? Wo sind wir eigentlich alle falsch abgebogen? Ist das das Ende? Kurzum: Das geht eigentlich nicht. Aber wenn Jente aus der Geschichte ein Buch machen kann, dann kann ich es auch lesen. So einfach ist das. Und um nochmal auf die Einleitung zurückzukommen: Spätestens jetzt hatte mich „Capo“ schon. Dass das Cover trotzdem gar nicht geht (oder „gar ni“, um hier vielleicht auch die Leser*innenschaft aus Elbflorenz abzuholen), steht noch mal auf einem anderen Blatt. Zum Glück haben die Layouter Lehmi nicht auch noch auf den Buchrücken gepflastert, sodass der mich nicht noch anglotzt, wenn das Teil dann irgendwann im Regal steht. Mit der schwarzen Schrift auf gelbem Rauch werde ich wohl leben können.

„Capo“ beginnt, wie das bei Büchern so üblich ist, mit der eben schon erwähnten Einleitung. Zunächst kommt Lehmi zu Wort (was erstmal logisch ist, es ist ja sein Buch) und erklärt die Idee hinter dem Werk. Das wirkt tatsächlich sympathisch und „gerade raus“, was mich direkt mal abholt. Anschließend richtet Co-Autor Jente ein paar Worte an den geneigten Leser und die geneigte Leserin und erläutert, wie es zur Zusammenarbeit kam, wie er an die Aufgabe herangegangen ist und wie der Schreibprozess so lief.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier zwei Menschen zusammengearbeitet haben, bei denen die Chemie gestimmt hat. Der Eindruck bestätigt sich im weiteren Verlauf, immer wieder habe ich als Leser das Gefühl, ich sitze mit Jente und Lehmi am Küchentisch. Lehmi quatscht wie ein Wasserfall, Jente meißelt mit, ich amüsiere mich köstlich, werde auch mal nachdenklich oder lausche einfach nur erstaunt und gespannt. Es wird ordentlich gefrotzelt, aber es ist auch viel Respekt im Raum. Eine angenehme Atmosphäre insgesamt. Und schon bin ich mitten drin, aller Berührungsängste zum Trotz.

Das nächste Ding, das mich beeindruckt, ist Lehmis Schilderung seines Abschieds als Capo inklusive der Aspekte, die in seine Entscheidung eingeflossen sind. Wenn das der Grundton des Buches ist, ehrlich, reflektiert und durchaus auch mal kritisch, aber mit viel Herzblut über die 18 (!) Jahre auf dem Zaun zu sprechen, dann freue ich mich auf die nächsten 300 Seiten. So viel sei an der Stelle schon einmal verraten: Meine Vorfreude sollte nicht enttäuscht werden.

An das „Vorgeplänkel“ schließen sich zehn Kapitel an, in denen man etwas über Lehmis Kindheit und Jugend sowie seinen Start ins Fußballleben erfährt. Aus den wilden Anfängen werden irgendwann „Fußballalltag und andere Geschichten“ (Kapitel 4), es geht um die „Mitgestaltung des Vereins“, weitere Kapitel tragen Titel wie „Lehmann packt aus“, „Lehmi – der Capo“, „Zukunftsvisionen“ sowie „Fußballfreundschaften und Gastberichte“. Abgerundet werden die 368 Seiten durch „Karten und persönliche Worte“ sowie die überragenden „Outtakes“ mit Auszügen aus der E-Mail- und Nachrichtenkorrespondenz verschiedener Akteure, die an der Entstehung des Buches beteiligt waren. Ich habe zum Teil Tränen gelacht. Großes, großes Kino – und passend zu einem Buch, in dem sich weder Autor noch Co-Autor selbst allzu ernst nehmen. Bei einer Biografie muss man das erstmal schaffen.

Zu meinen persönlichen Highlights im Buch zählt zum Beispiel die Anekdote, wie die noch recht jungen „Ultras Dynamo“ im April 2000 bei einem U17-Länderspiel in Dresden vor 890 Zuschauern Pyro zünden, vom Ordnungsdienst natürlich festgesetzt werden und eine ganz besondere Bestrafung erhalten:

„Ich musste zehn Liegestütze machen, deren Ausführung kläglich scheiterte. Mein Gartenkumpel durfte zehn Hoch-Streck-Sprünge darbieten und war restlos bedient. Der kam nie wieder mit zum Fußball. „Nils“ schickten sie im Laufschritt für eine Runde auf die Aschenbahn des Stadions. Von dieser kehrte er nicht zurück. Wenigstens abmelden hätte er sich können. Für einen unsportlichen Jungen wie mich war diese drakonische Strafmaßnahme eine echte Zumutung.“ (S. 89)

Derlei Geschichten, bei denen man ordentlich schmunzeln muss, gibt es einige im Buch. Ebenso gibt es aber auch Passagen, die sich in Form von Appellen an die eigene Fanszene richten (sehr interessant zu lesen war in diesem Zusammenhang zum Beispiel Lehmis Haltung zum Thema „Politik im Stadion“ bzw. „Politik in der Kurve“) oder Kapitel, in denen es um eine äußerst reflektierte und kritische Auseinandersetzung mit dem so genannten „modernen Fußball“ geht. An den Stellen merkt man, dass da jemand spricht, der sich viele Gedanken macht, die deutlich über den eigenen Tellerrand und den Dynamo-Kosmos hinausgehen.

Richtig gut wiedergefunden habe ich mich noch einmal im letzten Teil von „Capo“, in dem es um Freundschaften und gemeinsame Fußballerlebnisse geht. Beispiel gefällig? Bitte sehr:

„Die An- und Abreisen zu den Spielen sind genauso reizend wie die Partien selbst. Wenn wir auswärts unterwegs sind, ist der Ausgang des Spiels nur ein Kapitel der Tour. Dieses Gefühl, 1.000 Kilometer wegen eines Spiels zu schrubben, gemeinsam mit den Freunden im Gästeblock einen Sahneauftritt über 90 Minuten hinzulegen, auszurasten beim Entzünden der Fackeln und das Knallen der Schwenker in dein Gesicht, kann keiner nachempfinden, der das nicht exzessiv gelebt hat.“ (S. 285)

Jede*r, die oder der regelmäßig auswärts fährt, wird ziemlich genau wissen, was Lehmi hier meint.

Bleibt am Ende dieser kleinen Buchvorstellung hier noch die Frage offen, warum man „Capo“ aus meiner Sicht denn nun auch als Clubfan unbedingt lesen sollte. Nun, einerseits erfährt man zum Beispiel, wie es damals im Heinz-Krügel-Stadion zu dem Foto von Dennis Erdmann und Lehmi kam. Man erhält außerdem spannende Einblicke in eine Szene, die man zwar nicht gut finden muss (ich meine, hey, es ist Dynamo), aber durchaus respektieren kann. Darüber hinaus vermittelt Lehmi einen guten Eindruck davon, was es heißt, sich auch außerhalb der eigentlichen Spieltage für den Verein zu engagieren. Allein schon den Abschnitt „24 Stunden Fußballk(r)ampf“ sollten sich alle mal durchlesen, die sich gern über die Ultras beschweren, ohne sich damit auseinandergesetzt zu haben, was die eigentlich den ganzen Tag so treiben.

Und noch eine weitere Erkenntnis macht das Buch überaus interessant. Vielleicht lehne ich mich jetzt weit aus dem Fenster, aber ich vermute, dass die Entwicklung der „Ultras Dynamo“ und unserer aktiven Fanszene mehr Parallelen aufweist, als man denken würde. An einigen Stellen habe ich mir beim Lesen jedenfalls so gedacht: „Wenn da jetzt nicht „UD“, sondern „Block U“ stehen würde, würde der Text vermutlich ganz genauso funktionieren“. Spannend auf jeden Fall.

Also, Clubfans: Auch wenn der Anblick des Covers erstmal weh tut (Zwinkersmiley), kauft dieses Buch! Es lohnt sich wirklich, und zwar sowohl für diejenigen, die nicht nur zwei, drei Spiele pro Saison mitnehmen, sondern alles fahren als auch für all jene, die sich für Fan- und Ultra-Kultur interessieren. Auch den Leuten (die soll es ja geben), die dieser ganzen Thematik eher kritisch gegenüberstehen, sei „Capo“ wärmstens empfohlen, um vielleicht den eigenen Horizont zu erweitern oder zumindest auch mal die Sichtweise der „anderen Seite“ kennenzulernen. So man sich denn drauf einlassen möchte.

Tja, und nun hat hier ein FCM-Blogger tatsächlich ein Dynamo-Buch empfohlen, und das auch noch aus voller Überzeugung. Geht eigentlich auch nicht, oder? Und wer jetzt noch wissen will, warum ich Lehmi ganz oben das F-Wort in den Mund gelegt habe, der muss „Capo“ schon lesen. Viel Spaß dabei!

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Stefan „Lehmi“ Lehmann mit Jens „Jente“ Knibbiche: Capo – Meine Stimme für Dynamo Dresden
368 Seiten, Hardcover, 19,53 €
ISBN: 978-3940159533

Das Buch gibt es unter anderem im Online-Shop von Blickfang Ultrà.

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