“Bibliothek des Deutschen Fußballs” und “Fußballfibel” – zwei Begriffe, die bei mir zunächst erst einmal durchaus unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. Da ist zum einen der Verweis auf eine thematisch einschlägige Bibliothek, also auf eine Sammlung der wichtigsten Bücher in einem bestimmten Bereich, hier: dem Fußball. Und die damit (sicherlich nicht ganz unabsichtlich) verbundene Aufforderung: “Will man mitreden können, sind es genau diese Werke, die man gelesen haben muss!” Auf der anderen Seite steht die Fibel, die man wahrscheinlich erst einmal mit dem ersten Lesebuch in der Grundschule verbindet und bei der man erst im zweiten Moment auf die Idee kommt, dass damit auch ein Nachschlagewerk gemeint sein könnte. Dementsprechend gespannt war ich also, was mich wohl bei der Lektüre von Jente Knibbiches Fußballfibel zum 1. FC Magdeburg erwarten würde, die bei CULTURCON medien in ebenjener Reihe “Bibliothek des Deutschen Fußballs” erschienen ist: Jede Menge Statistiken? Alle Details zum Verein, ausgeleuchtet bis in den letzten Winkel? Ein Monumentalwerk epischen Umfangs?
Zunächst war ich erstaunt: Anstelle einer stattlichen “Enzyklopädie des 1. FC Magdeburg” rutschte ein ziemlich schmales Taschenbuch, eigentlich eher ein Büchlein, aus der Versandtasche. 158 Seiten sollten ausreichen, um der geneigten Leserschaft den 1. FC Magdeburg näherzubringen? Die Größten der Welt?
Ich war skeptisch.
Rund vier Lesestunden später war diese Skepsis einem Mix aus Begeisterung, dem Schwelgen in Erinnerungen, einem guten Stück Erstaunen und hier und da tatsächlich auch dem einen oder anderen Stirnrunzler gewichen. Keine Frage: Die Fibel kann eigentlich niemanden kalt lassen, der sich für Fußball, Fankultur, die Hintergründe zu heute fast schon Selbstverständlichem und natürlich für den 1. FC Magdeburg interessiert.
Schon der Aufbau des Buches ist spannend und fällt wohl unter die Kategorie “Ideen, auf die man gern selbst gekommen wäre”: Die einzelnen Kapitel sind rund um einen Erlebnisbericht zu einer bestimmten Auswärtsfahrt in der Saison 2015/2016 angeordnet, der sich durch das gesamte Buch zieht, am Vorabend der Partie beginnt und mit dem Rückweg vom Bahnhof nach Hause endet. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Reise denkt Jente Knibbiche über dies und jenes nach, was den Club, aber eben auch seine eigene Haltung zu bestimmten Themen betrifft und leitet so die verschiedenen Kapitel ein: Man erfährt, wie und wo die blau-weiße Sucht beim Autor selbst begann; es gibt einen längeren, äußerst facettenreichen Abschnitt, der vom Club, seinen Spielstätten, großen Erfolgen, unterschiedlichen Pokalwettbewerben, den guten wie den dunklen Zeiten und natürlich vom Aufstieg in den Profifußball handelt; Revierkämpfe und Rivalitäten werden im wahrsten Wortsinn anschaulich dargestellt und schließlich darf selbstredend auch ein aufschlussreicher Abschnitt über die Magdeburger Fanszene nicht fehlen.
Was jetzt klingt, als wäre die Fußballfibel letzten Endes doch einfach nur eine weitere Abhandlung über die Größten der Welt, ist genau das nicht, im Gegenteil: Durch die Verbindung von Fakten, alten Kamellen, neuen Geschichten, verschiedenen Gastbeiträgen und der Biographie des Autors ist ein dichtes, interessantes und eben auch sehr persönliches Buch entstanden, dessen Lektüre schon allein durch die Art und Weise, wie es erzählt ist, großes Vergnügen bereitet. Wenn Knibbiche, der im Block U zuhause ist, davon spricht, wie sich der Club und die Fanszene in der Wendezeit veränderten, wie es sich anfühlte, als nur noch ein paar hundert Leute die Spiele des Vereins besuchten, wie es war, als die ersten Ultrà-Gruppen entstanden und es aber Zeiten gab, in denen nicht mal mehr eine Fahne hing und wie aus einem mehr oder weniger uneinigen Haufen die heutige blau-weiße Einheitsfront wurde, wirkt nichts aufgesetzt oder ausgedacht, sondern alles authentisch, ehrlich und mit Herzblut erzählt.
Natürlich muss da, wo viel Licht ist, auch ein bisschen Schatten fallen, und so mag es der eigenen Verortung des Autors innerhalb der Fanszene geschuldet sein, dass die berühmten ‘Begleiterscheinungen’ eines Fußballspiels doch allzu häufig und wenig kritisch als ganz normaler Teil der wochenendlichen Fußball-Folkore geschildert werden. Ob der Durchschnittsfan, der hin und wieder mal ins Stadion geht und sich – ganz im Geiste einer “Bibliothek des Deutschen Fußballs” – einfach nur etwas ausführlicher über den 1. FC Magdeburg informieren möchte, mit der Selbstverständlichkeit von (körperlichen) Auseinandersetzungen um Schals, Fahnen oder Reviere so wahnsinnig viel anfangen kann, bleibt abzuwarten. “War halt schon immer so, das gehört dazu” ist für dieses Publikum möglicherweise eine etwas zu einfache Erklärung.
Vielleicht aber gerade deswegen ist die Fußballfibel zum 1. FC Magdeburg vor allem: ein Buch für die Kurve und für diejenigen, die nicht nur gegen Hansa, Halle und Co. ins Stadion kommen, sondern sich auch in Großaspach, Aalen und demnächst u.a. noch Lotte die Spieltage um die Ohren schlagen. Und die mit dem 1. FC Magdeburg eben noch ein bisschen mehr verbinden als einfach nur einen gelegentlichen, entspannten Fußballspielbesuch.
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Jente Knibbiche: 1. FC Magdeburg Fußballfibel
158 S., Softcover, mit Abb., 9,99 Euro
ISBN 978-3-944068-51-0
Das Buch gibt es im Online-Shop des Verlags und im gut sortierten, lokalen Buchhandel. Wer den Blog unterstützen und gleichzeitig das Buch erwerben möchte, kann es natürlich auch über diesen Link bei Amazon bestellen.
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