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Abrissarbeiten

Wie beginnt man einen Text zu einer Angelegenheit, die einen in den letzten beiden Tagen durch ein Wechselbad der Gefühle am deutlich unangenehmeren Ende des Emotionsspektrums hat gehen lassen? Seit Wochenbeginn war ich abwechselnd ungläubig, fassungslos, wütend, entsetzt, unheimlich enttäuscht und ja, irgendwo auch sprachlos. Kein sonderlich guter Zustand für den Betreiber eines Blogs, der zumindest den Anspruch hat, eher die Zwischentöne zur Sprache zu bringen, statt den eigentlich ja viel einfacheren Schwarzweiß-Hau-drauf-Modus zu bedienen. Und schon gar keine guten Voraussetzungen für einen Text über einen Sachverhalt, der mit „epochaler General-Fuck-Up“ noch freundlich umschrieben ist. Das grundlegende Problem: Es ist mir schlicht und ergreifend nicht möglich, das inzwischen als #hansagate bezeichnete Possenspiel um das Gästekartenkontingent für die Begegnung des Clubs gegen den F.C. Hansa Rostock auch nur ansatzweise differenziert zu betrachten. Völlig egal, wie ich es drehe und wende, am Ende steht immer die gleiche Aussage:

Liebe Vereinsverantwortliche, Ihr habt einfach mal enorm große Scheiße gebaut. Und was noch viel, viel schlimmer ist: Es fehlt Euch offensichtlich auch an Größe und Anstand, dafür geradezustehen. 

Die zunächst anvisierte Aussperrung der Fans des F.C. Hansa Rostock, der daraus resultierende und völlig berechtigte Sturmlauf an der Ostsee und der Elbe und die hilflosen Versuche des 1. FC Magdeburg, irgendwie noch zu retten, was längst nicht mehr zu retten ist, wurde medial inzwischen auf eigentlich allen Kanälen ausführlich dokumentiert. Den aus meiner Sicht besten Gesamtüberblick aus Fanperspektive, der den Fokus vor allem auf die Reaktionen der beteiligten Szenen legt, liefert turus.net. Ich möchte den ganzen Diskurs an dieser Stelle nicht noch einmal aufrollen. Auf einige Ungereimt- und Ungeheuerlichkeiten sei trotzdem noch einmal eingegangen.

Am 15.02.2016 informiert die Fanszene Rostock auf ihrer Homepage darüber, dass es für das Auswärtsspiel beim 1. FC Magdeburg keine Karten geben solle. Quelle: Der Rostocker Fanbeauftragte, der offenbar vom 1. FC Magdeburg über diesen Umstand in Kenntnis gesetzt wurde. Der F.C. Hansa Rostock weiß zu diesem Zeitpunkt nach eigenem Bekunden offiziell noch nichts von seinem Glück. Der FCM? Schweigt. Später wird der Club angeben, bereits am 11.02.2016 von der Polizei die Empfehlung bekommen zu haben, die Gästefans auszuschließen.

„Daraufhin hat die Sicherheitsabteilung des 1. FC Magdeburg Vorsichtsmaßnahmen auf diese Empfehlung hinaus getroffen und gemäß der Vorgaben beim Deutschen Fußball-Bund den Ausschluss von Gästefans vorsorglich beantragt.“ (Pressemitteilung 1. FC Magdeburg vom 17.02.2016)

Allein schon dieser Umstand ist eigentlich unglaublich. Ein Verein, der nach eigenem Bekunden großen Wert auf die Kommunikation mit den eigenen Anhängern legt und noch dazu einen Fanvertreter im Aufsichtsrat hat rennt los und beantragt auf Empfehlung der Polizei (!!) vorsorglich (!!!) den Ausschluss der Gästefans? Um danach den Gastverein über diese Maßnahme zu informieren? Einen Gastverein noch dazu, der für seine große, engagierte und extrem gut vernetzte Fanszene bekannt ist? Wie dämlich kann man eigentlich sein?

Nach den entsprechenden Reaktionen im Netz dann am 16.02.2016 die Rolle rückwärts. Man werde dem F.C. Hansa Rostock nun doch Tickets zur Verfügung stellen, und zwar 700 und die nur personalisiert. Begründung: 700 Tickets ist alles, was geht.

„Dieses Spiel wurde als Hochsicherheitsspiel eingestuft. Einhergehend mit dieser Einstufung und aufgrund der noch unvollendeten baulichen Sicherheitsvorkehrungen in der MDCC-Arena Magdeburg hatte sich der 1. FC Magdeburg im Vorfeld gemeinsam mit der Landeshauptstadt Magdeburg und der zuständigen Polizeibehörde auf  ein maximal mögliches Gästekartenkontingent von 700 Karten geeinigt.“ (Pressemitteilung 1. FC Magdeburg vom 16.02.2016)

Unvollendete bauliche Sicherheitsvorkehrungen im Heinz-Krügel-Stadion? Mal abgesehen davon, dass man über Sinn und Unsinn von Umbauten mitten in einer Rückserie mit Heimspielen gegen Hansa und Dynamo streiten kann, hieß es noch am 05.02.2016 zu diesem Thema in der Volksstimme:

„Für Steffen Schüller und FCM-Geschäftsstellenleiter Matthias Kahl ist das [der Umbau bei laufendem Betrieb] grundsätzlich kein zu großes Problem. Sie gehen davon aus, dass alle Plätze im Gästebereich genutzt werden können.“ (Volksstimme vom 05.02.2016)

Matthias Kahl ist übrigens Geschäftsstellenleiter, Sicherheitsbeauftragter und Verantwortlicher für die Organisation des Spielbetriebs in Personalunion, nachzulesen hier.

Erstaunt zeigte man sich im weiteren Verlauf beim 1. FC Magdeburg offenbar darüber, dass man ja dann am 16.02. (ja, genau, am 16.02.) Kontakt mit allen möglichen Vertretern der beteiligten Parteien aufgenommen hätte, um „eine Möglichkeit zu schaffen, das festgelegte maximale Gästekartenkontingent zu erhöhen“ (PM vom 17.02.) und von Hansa Rostock aber darüber in Kenntnis gesetzt wurde, „dass dieser Dialog mit Vertretern der aktiven Fanszene nicht möglich sei.“

Noch mal zusammengefasst: Die Polizei empfiehlt, beim Spiel gegen Rostock keine Gästefans zuzulassen. Der 1. FC Magdeburg beantragt daraufhin zunächst, ganz offensichtlich ohne jegliche Rücksprache mit irgendwem, einen entsprechenden Ausschluss (vorsorglich, versteht sich, man kann ja nie wissen und so) und informiert danach Hansa, nur um dann quasi nachträglich (!!!) noch zu versuchen, das „festgelegte“ Kartenkontingent zu erhöhen. Was – Überraschung! – von der aktiven Fanszene des F.C. Hansa Rostock abgelehnt wird. Aber ist ja alles nicht schlimm, denn: der F.C. Hansa Rostock e.V. hat die Tickets dann am 17.02.2016 schließlich doch angefordert.

Wen, zum Teufel, wollt Ihr eigentlich verarschen?

Die zuletzt (Stand 17.02.) vom Verein veröffentlichte „Erklärung zur Reduzierung vom Gästekartenkontingent für das Heimspiel gegen den FC Hansa Rostock“ setzt der ganzen Geschichte in ihrem unfassbaren Dilettantismus dann die Krone auf. Nicht nur, dass man sich nicht zu blöd ist, dem Gastverein durch die Blume vorzuwerfen, es läge ja an ihm bzw. seiner aktiven Fanszene, dass die Kacke nun richtig am Dampfen ist (schließlich habe man ja alles getan und immerhin 700 Tickets angeboten). Nein, man versteckt sich auch noch hinter einer Festlegung der Polizei, als wäre damit alles gesagt und man als gastgebender Verein den Anordnungen der Sicherheitsorgane vollkommen handlungsunfähig ausgeliefert.

Mal gesetzt dem Fall, das wäre so (die rechtlichen Handlungs-, Weisungs- und Festlegungsmöglichkeiten der Polizei gegenüber einem Fußballverein bzw. einer Stadionbetreibergesellschaft sind mir tatsächlich nicht geläufig): Wieso dann noch der Versuch, das Kontingent nachzuverhandeln? Wieso überhaupt ein vorsorglicher (VORSORGLICHER!) Antrag auf einen kompletten Ausschluss der Gästefans? Wieso erst die Begründung über die Baumaßnahmen, wo doch jeder Siebenjährige im Netz nachlesen kann, dass das doch angeblich alles kein Problem sei? Außerdem: Wie wahrscheinlich war es denn, dass die Partie gegen Hansa Rostock nicht zu einem Hochsicherheitsspiel erklärt werden würde? Und wieso erfährt eigentlich der betroffene Verein nach eigenem Bekunden erst aus der herausgegebenen Pressemitteilung (!) von der getroffenen Entscheidung?

Ich möchte lieber gar nicht erst anfangen, über mögliche Antworten auf diese und sicherlich noch viele weitere Fragen, die man in dem Zusammenhang stellen kann, zu spekulieren. Fakt ist eins: Mit dieser Aktion haben die Verantwortlichen des 1. FC Magdeburg dem Ansehen des Vereins vermutlich auf Jahre hinaus mehr geschadet, als es Bengalos, Rauchtöpfe und irgendwelche Platzstürme je vermocht hätten. Schlimmer noch: Sie haben all das, was wir alle gemeinsam in den vergangenen Jahren mühevoll aufgebaut haben, mit einem Handstreich zunächst erst einmal wieder eingerissen.

Wie es jetzt weitergeht? Keine Ahnung. Wirklich nicht. Ein 1. FC Magdeburg, der einen Ausschluss von Gästefans nicht nur in Erwägung zieht, sondern tatsächlich aktiv anstrebt, hat unter dem Strich einfach gar nichts verstanden – und wird, da müsste ich mich schon schwer täuschen, genau das in der nächsten Zeit von seinen Fans auch deutlich zu spüren bekommen. Jenen Fans übrigens, die auch gegen Hansa Rostock die Hütte vollgemacht hätten:

„Damit ist auch das nächste Heimostduell, nach Dynamo Dresden, innerhalb von zwei Tagen ausverkauft.“ (Pressemitteilung 1. FC Magdeburg vom 10.02.2016)

Genau. Und wir alle kommen nur ins Stadion, um bei einem ‚Ostduell‘ die hohe Kunst auf dem Rasen zu bewundern.

Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Wie dämlich kann man eigentlich sein?

*Update 19.02.2016*

Am 19.02. teilte der Verein mit, dass es inzwischen einen Austausch zu „offenen Fragen zur Entscheidungsfindung der Gästekartenkontingentierung“ mit Vertretern der Fanszene des 1. FC Magdeburg gegeben hat. Im Ergebnis wird ein Treffen mit der Polizei angestrebt, um eine mögliche Neubewertung der Gefahrenlage seitens der Sicherheitsorgane und in der Endkonsequenz vermutlich eine Erhöhung des Gästekartenkontingents zu erreichen.

Das ist löblich. Die grundlegenden Probleme in der ganzen Angelegenheit, nämlich die katastrophale Kommunikation und Außendarstellung, der tatsächlich beantragte Komplettausschluss von Gästefans (bzw. das so demonstrierte, grundlegende „In-Erwägung-ziehen“ dieser Maßnahme) und das Zurückweisen bzw. Nichteingestehen einer gewissen Mitverantwortung an der Misere, werden damit allerdings nach wie vor (zumindest öffentlich) nicht adressiert.

*Update 20.02.2016*

Man redet noch einmal miteinander. Wie u.a. der MDR berichtet, werden sich Vertreter des F.C. Hansa Rostock und des 1. FC Magdeburg in der kommenden Woche zusammensetzen, um zu versuchen, „im Sinne des Fußballs und der Fans eine gemeinschaftliche und für alle Parteien annehmbare und faire Lösung“ zu finden. Nach all den harschen Worten diese Woche (die oben stehenden eingeschlossen) könnte sich die Sache also womöglich doch noch einmal in eine positive Richtung bewegen. Warten wir es ab und hoffen wir das Beste.

*Update 25.02.2016*

Nach einem Treffen zwischen Vereinsvertretern aus Rostock und Magdeburg sowie der aktiven Fanszene und der Polizei am 24.02.2016 veröffentlichte der 1. FC Magdeburg eine Pressemitteilung, der zufolge der Rostocker Anhängerschaft nun doch 2.000 Tickets zur Verfügung gestellt werden. Interessant:

„In der Diskussion wurde von der Polizei klargestellt, dass sie nicht über die Anzahl der Gästefans  entscheidet, sondern, dass es letztendlich allein die Entscheidung des Vereins ist.“ (Pressemitteilung 1. FC Magdeburg vom 24.02.2016)

Damit löst sich auch das zuletzt aus Vereinskreisen immer wieder gehörte Argument, die Polizei hätte die Vorgabe gemacht und der Verein setzt sie nur um, in Wohlgefallen auf…. Sei es, wie es sei, Rostock erhält nun deutlich mehr als die zunächst zugebilligten 700 Tickets. Alles wieder gut nun also? Mitnichten. In Reaktion auf die Mitteilung des Vereins veröffentlichte Block U auf seiner Homepage folgende Stellungnahme:

„2.000 Karten – aber keine Einigung!

Abermals müssen wir eine Pressemitteilung des 1. FC Magdeburg mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen. Ganz offensichtlich ist die oftmals propagierte blau-weiße Einheitsfront für Teile der Führungsriege unseres Vereins eine reine Floskel. Anders als von der Presseabteilung des 1. FC Magdeburg verlautbart, waren zum Zeitpunkt der Einigung auf das Gästekontingent keine Fanvertreter beider Vereine anwesend – sieht man von den offiziell angestellten Fanbetreuern der Clubs ab. Vorausgegangen war ein unserem Verein unwürdiges Verhalten der Vereinsverantwortlichen gegenüber den Teilnehmern des Treffens. Dies nötigte den Fanvertreter des 1. FC Magdeburg zum Verlassen dieser Veranstaltung. Wir sind es leid von unserem eigenen Verein für dumm verkauft zu werden. Um unsere Position in dieser Sache allen Clubfans plausibel zu erklären, laden wir interessierte Fans und Fanclubs am kommenden Sonntag ab 10:00 Uhr ins Fanprojekt ein. Hier werden wir unsere Sicht auf die Vorkommnisse der letzten Tage darlegen und aufkommende Fragen beantworten. Weiterhin ist Block U bestrebt, eine außerordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen, auf welcher die Strukturen in dieser Posse hinterfragt und langfristig eine Änderung dieser Missstände angestrebt werden sollen.

Wir fordern eine Richtigstellung seitens der involvierten Vereinsverantwortlichen bezüglich der Diskrepanz zwischen intern getätigten Absprachen und öffentlichen Verlautbarungen! Weitere Schritte machen wir von der Reaktion der Handelnden abhängig.“ (Stellungnahme Block U, Quelle: block-u.de)

Es bleibt also spannend.

Beitragsbild: „Funky Abrissbirne“ (geändert) von Christoph Huebner, Lizenz: CC BY-SA 2.0

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