Permalink

5

Abnutzungskampf

Abnutzungskampf

1. FC Magdeburg – Holstein Kiel, 10. Spieltag, 1:0 (0:0)

Die Dame beim Bäcker im Hauptbahnhof. Der Herr im Eingangsbereich vom Karstadt. Unter anderem. Dass der FCM wieder da ist, merkt man ja spätestens daran, dass einen vermeintlich Unbeteiligte direkt mal äußerst interessiert und hoffnungsvoll nach dem Spielergebnis fragen, sobald man in blau-weißen Klamotten und ziemlich abgekämpft frisch aus dem Stadion kommt. Ein schönes Gefühl, zumal es noch gar nicht so lange her ist, dass man in der Stadt eher mal überrascht mit so etwas angesprochen wurde wie: “Oh, die haben wohl heute gespielt? Wie schlimm war es denn?” Wie sich die Zeiten doch ändern…

Möchte man diese Aussage nicht auf ein paar Jahre, sondern ein paar Wochen beziehen, wäre sie mit Blick auf die aktuelle Saison genauso wahr. Durfte man im August und Anfang September noch durchaus sorgenvoll gestimmt sein, könnte die Laune im blau-weißen Lager nach der perfekten englischen Woche und dem jüngsten Ergebnis gegen Holstein Kiel kaum besser sein. Da erzählt man der Dame beim Bäcker oder dem Herren bei Karstadt doch direkt mal noch freudestrahlender, dass der 1. FC Magdeburg just eben den vierten Sieg in Folge (!) eingefahren hat. Auch wenn bei diesem Erfolg, so ehrlich darf man sein, jede Menge Dusel und eine recht katastrophale Chancenverwertung des Gegners im Spiel waren. Wie gut allerdings, dass das dem Punktekonto am Ende der Saison herzlich egal sein dürfte.

Trainer Jens Härtel schickte seine Mannschaft auch in dieser Partie wieder im inzwischen bewährten 3-5-2 aufs Feld: Jan Glinker kehrte nach überstandener Krankheit ins Tor zurück, vor ihm verteidigten Nico Hamman zentral, rechts und links neben ihm Felix Schiller und Christopher Handke. Davor, wenig überraschend, Jan Löhmannsröben und Marius Sowislo, offensiv gingen Tobias Schwede (links), Gerrit Müller (zentral) und Nils Butzen (rechts) ins Rennen. Die beiden Sturmpositionen wurden erneut von Christian Beck und Manuel Farrona Pulido besetzt.

Bevor es losging, noch ein kurzer Blick ins weite Rund: Im Block 8 gab es zunächst einen kleinen Gruß an Block U:

Abnutzungskampf

Die Gäste aus Kiel, mit ein wenig Verspätung angereist, hatten ein klares Statement im Gepäck:

Abnutzungskampf

Hintergrund ist, dass Holstein Kiel mit der „Sektion Spielsucht“ gleich eine komplette Gruppe mit Stadionverboten belegt hat, nachdem im Heimspiel gegen den VfL Osnabrück gezündelt wurde. Interessant dabei: Laut Aussagen der Polizei in einem Beitrag der „Kieler Nachrichten“ vom 29.09.2016 gibt es derzeit keinerlei Belege, dass die Pyroaktion auch tatsächlich von Mitgliedern dieser Gruppe ausging. Repressionsschraube, ick hör‘ Dir knarksen…

Kommen wir zum Sportlichen: Den besseren Start – bzw. genauer: die bessere erste Hälfte – erwischten die Gäste aus dem Norden. Der FCM war zwar durchaus um Spielkontrolle bemüht, allerdings agierte Kiel in der Defensive enorm bissig, sehr aufmerksam, in der Offensive mit den besseren Laufwegen und überhaupt insgesamt deutlich zielstrebiger. Das Ergebnis war, dass sich der Club erst in der 27. Minute zum ersten Mal so richtig am gegnerischen Strafraum festsetzen konnte (Müllers Abschluss aus der zweiten Reihe war dann letztlich aber kein Problem für Kiels Keeper Kronholm) und davor, von einem Schuss von Manuel Farrona Pulido nach einem Fehler in der Kieler Vorwärtsbewegung mal abgesehen, aus dem Spiel heraus nicht zu Chancen kam.

Die Gäste machten es da besser: Bereits in der 5. Minute landet ein Kopfball hinter Jan Glinker an der Latte, in der 21. Minute rettet der Keeper stark gegen einen einrückenden Kieler Stürmer (der sich glücklicherweise für den Abschluss und nicht für den sicheren Assistpunkt entscheidet, obwohl sein Stürmerkollege in der Mitte völlig frei steht). Dazwischen, davor und danach gab es immer wieder gefährliche Ecken (so zum Beispiel gleich dreimal in Folge zwischen den Spielminuten 29 und 32), bei denen die blau-weiße Defensive jedes Mal schwamm, es mitunter selbst gefährlich machte (Beck per Kopf aufs Tornetz) oder die großgewachsenen Kieler Kopfballspieler (u.a. Dominic Peitz) weitestgehend ungehindert zum Abschluss hochsteigen ließ. Fällt da das 0:1, kann sich überhaupt niemand beschweren und hätte man im Anschluss an die Begegnung wohl mit einigem Recht von einer verdienten Gästeführung gesprochen.

Die blieb glücklicherweise aber aus, sodass in den letzten 10 Minuten der ersten Hälfte dann auch der 1. FC Magdeburg mal ins Spiel finden durfte. In Minute 36 behauptet Gerrit Müller einen offensiven Ball stark gegen 2, 3 Kieler Gegenspieler, verzichtet auf den offensichtlichen Pass auf die linke Seite und legt den Ball lieber rüber zu Farrona Pulido, der noch mal Maß nimmt und das Leder an den Pfosten setzt. Vielleicht war das so etwas wie der Weckruf für die Hausherren, die nun bis zum Halbzeitpfiff zu weiteren guten Chancen kamen, diese (Beck per Kopf und Fuß, Farrona Pulido) aber ihrerseits nicht zu nutzen wussten. Da auch Kiel kurz vor dem Pausentee eine weitere gute Situation nicht im Kasten unterbrachte, ging es eben mit einem – insgesamt aus Magdeburger Perspektive eher schmeichelhaften – 0:0 in die Halbzeit.

Waren die Kieler in der ersten Hälfte also tatsächlich das auch von Gästetrainer Anfang nach der Begegnung so eingeschätzte “bessere Team”, entwickelten sich die zweiten 45 Minuten deutlich ausgeglichener. Das lag an drei Dingen: Zunächst kam der 1. FC Magdeburg deutlich giftiger aus der Kabine, störte den Kieler Spielaufbau viel früher und ging insgesamt aggressiver und entschlossener zu Werke. Dann trugen der häufig nicht sehr sichere Schiedsrichter Müller und sein Gespann ihren Teil dazu bei, dass zunehmend mehr Musik im Spiel war und sich die Gemüter zwischen zwei Teams, die sich ohnehin schon nichts schenkten, zeitweise ordentlich erhitzten. Schließlich wurde das Spiel bei ekligen Bedingungen und Dauer(niesel)regen irgendwann zu einem Abnutzungskampf, der einer Mannschaft wie dem 1. FC Magdeburg, die zu allererst mal über Leidenschaft und Einsatz zu Ergebnissen kommt, immer gut in die Karten spielt.

Die ersten etwa 20 Minuten ging es hoch und runter, ohne, dass auf beiden Seiten großartige Torraumszenen zu verzeichnen gewesen wären. In der 60. Minute wurde Gerrit Müller durch Tarek Chahed ersetzt, wohl, um die Kieler Defensive noch intensiver anzulaufen und dann vielleicht doch zu dem Fehler zu zwingen, der das goldene Tor bringen könnte. Abgesehen von diesem unsäglichen 0:5 in der Spielzeit 2006/2007 fallen zwischen beiden Mannschaften ja fast schon traditionell wenig Tore und auch diese Begegnung am 10. Spieltag war eine von der Sorte, in der wohl diejenige Mannschaft gewinnen würde, die auch den ersten Treffer erzielt. Gelegenheit dazu gab es für Kiel bis in die Schlussminuten in Durchgang 2 eigentlich keine (noch so ein Indiz für eine verbesserte Magdeburger Elf nach Wiederanpfiff), der FCM hingegen beraubte sich nach 69 Minuten in Person von Manuel Farrona Pulido selbst einer vielversprechenden Gelegenheit: Einem schönen Ballgewinn im Mittelfeld folgt der schnelle Pass auf die linke Seite. Anstelle nun aber dem mit Tempo einlaufenden Tobias Schwede den Ball zu überlassen, rennt Farrona Pulido seinen Mannschaftskollegen quasi um und schnappt sich dem Ball, verliert so im dann folgenden Dribbling wertvolle Zeit, wird zu weit nach links abgedrängt und schießt Kenneth Kronholm aus spitzem Winkel direkt in die Arme. Ärgerliche Szene, die vermutlich und ungeachtet des Spielausgangs teamintern noch für einige Diskussion sorgen dürfte.

Als sich wohl alle im Stadion schon mehr oder weniger mit einem Remis abgefunden hatten, fiel der goldene Treffer dann doch noch – und glücklicherweise für die Hausherren: Der Ball kommt auf die linke Seite zu Tobias Schwede, dessen Flanke eigentlich ein bisschen zu weit gerät, rechts im Strafraum aber Christopher Handke findet. Der wiederum befördert das Spielgerät volley zurück in die Mitte und dort steht Christian Beck – genau an der Stelle, an der ein Mittelstürmer in so einer Situation eben stehen muss, allerdings auch sträflich allein gelassen von der Kieler Innenverteidigung. Tja, und dann konnte unsere Nummer Elf eigentlich gar nicht anders, als den Ball dann eben mit Schmackes in die Maschen zu nicken. 1:0 also in der 85. Minute und ein Publikum, das statt 0:0-Spannungs-Lethargie nun lautstark kundtut, dass der FCM sein Verein sei und man ihm durch Deutschland, Europa, die ganze Welt folgen würde.

Einen ordentlichen Kieler Flatterball (89.) und eine glänzende Parade von Jan Glinker später war dann Schluss und behielt der 1. FC Magdeburg die drei Punkte aufgrund der ordentlichen zweiten Hälfte sicherlich nicht ganz unverdient an der Elbe. Und klar kann man sich in Kiel und umzu nun ärgern, die Zähler liegengelassen zu haben und natürlich hat in diesem 50:50-Spiel an diesem 10. Spieltag sicherlich die glücklichere Mannschaft gewonnen, aber Glück muss sich halt irgendwo auch erarbeiten. Und dass der 1. FC Magdeburg das getan hat, wird der Mannschaft sicherlich niemand absprechen wollen.

Nach den anstrengenden letzten 14 Tagen ist nun erst einmal Länderspielpause, während der die Größten der Welt mit 8 Punkten Vorsprung auf den ersten Abstiegsplatz und sehr guten 16 Zählern aus 10 Partien vom 9. Tabellenplatz grüßen. Abgekämpft zwar, aber hey: Es gab, wie gesagt, Zeiten in dieser Saison, da sah die Welt noch ein ganzes Stückchen weniger entspannt aus.

5 Kommentare

  1. Pingback: Abnutzungskampf | re: Fußball

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.